Evolution: Nicht nur eine Theorie - Forscher liefert Beweise
Archivmeldung vom 19.03.2009
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Freigeschaltet durch Oliver RandakDie Evolutionstheorie wird von Skeptikern häufig als nicht bewiesen angezweifelt. An der Universität Lausanne wird mit Hilfe eines Insektes die Evolution als alltäglicher Vorgang bewiesen.
Evolution sei doch "bloß eine Theorie" und nicht bewiesen, behaupten noch immer viele Skeptiker. Die Fruchtfliege Drosophila melanogaster könnte darüber nur verwundert ihr mit Antennen bewehrtes Haupt schütteln. Für das winzige Insekt ist Evolution das Alltagsgeschäft im Dienste der Wissenschaft.
Zum Beispiel, wenn es im Labor von Tadeusz Kawecki an der Universität in Lausanne in einer kleinen Kiste landet und sich zwischen zwei Sorten Marmelade entscheiden soll. Bei diesem Experiment gewinnen nur jene Fliegen den Kampf ums Überleben, die rasch lernen und sich richtig entscheiden. Nur ihnen gestattet Kawecki, Nachkommen zu haben. Und diese sind im Durchschnitt schlauer als andere Fliegen.
Sicher, eine schwarzbäuchige Taufliege - so der genaue deutsche Name - ist generell kein hochintelligentes Tier. Zum Leben genügt ihr eine Bananenschale. Ein kurzes Paarungsritual, dann legen die Weibchen ihre Eier ins gärende Obst, nach einem knappen Tag schlüpfen die Larven.
Gerade mal sechs Wochen dauert so ein Fliegenleben. Und doch möchte der polnische Biologe Kawecki mit Hilfe der Winzlinge zeigen, wie sich Intelligenz entwickelt - und warum das meistens nicht geschieht.
Dafür serviert Kawecki seinen Fliegen zwei Petrischalen voll mit Marmelade, Orange in der einen, Ananas in der anderen. Die Fliegen können die Sorten am Geruch unterscheiden; eine schmeckt allerdings bitter, weil Kawecki sie mit Chinin versetzt hat.
Die Fliegen lernen bei diesem Versuch, die gute von der bitteren Marmelade zu unterscheiden. Aber nur jene Weibchen, die sich noch drei Stunden später an die Lektion erinnern und auf Anhieb die richtige Marmelade wählen, dürfen sich fortpflanzen. Dieses Experiment wiederholt Kawecki wieder und wieder: Nach zwei Dutzend Generationen ist tatsächlich eine Variante von Fliegen entstanden, die schneller lernen als ihre Vorfahren und das Gelernte länger behalten.
Doch wenn es so einfach ist, warum sind dann draußen in der Natur nicht längst massenhaft intelligente Superhirnfliegen entstanden? Der Grund hierfür ist: Die verbesserte Hirnleistung hat einen Preis, wie Kawecki herausgefunden hat. Die Larven dummer Fliegen wachsen schneller - bei knappem Futter ist das ein klarer Überlebensvorteil. "Offensichtlich gibt es in der Natur nichts umsonst", sagt Kawecki.
Um derlei biologische Bilanzen im großen Buch der Evolution zu erkunden, ist die Drosophila ein ideales Forschungsobjekt. Schon in den 1980er-Jahren startete Michael Rose an der Universität von Kalifornien in Irvine ein Experiment.
Von jeder Generation seiner Fruchtfliegen ließ er nur aus jenen Eiern Larven schlüpfen, die die Mütter gegen Ende ihres Lebens gelegt hatten. Generation um Generation selektierte Rose seine Insekten nach diesem Kriterium.
Nach 15 Generationen war die durchschnittliche Lebenserwartung der Insekten bereits um 20 Prozent gestiegen. Nach einem Vierteljahrhundert weiterer Selektion wurden die Methusalem-Fliegen fast dreimal so alt wie ihre Vorfahren. Doch Fliegen mit erhöhter Lebenserwartung haben andere Defizite, wie Kawecki kürzlich zeigen konnte.
Seine langlebige Fliegen versagten in der harten Schule der beiden Marmeladensorten. Sie lernten um 40 Prozent langsamer als Artgenossinnen. Umgekehrt haben die auf Gelehrsamkeit spezialisierten Fruchtfliegen eine verkürzte Lebensspanne.
Warum nur zwei Flügel?
Während Biologen die Evolution nachstellen, versuchen Molekulargenetiker anhand der Drosophila zu verstehen, wie sich das Erscheinungsbild von Lebewesen ändert. Warum haben Fruchtfliegen nur zwei Flügel, die meisten anderen Insekten aber vier? Warum haben Fliegen und Bienen sechs Beine, Spinnen aber acht und Tausendfüßler sogar Hunderte?
Auch hierbei kann Drosophila helfen. Die Fliege ist schon seit einem Jahrhundert ein Lieblingsobjekt der Genetiker und heute eines der am besten untersuchten Lebewesen der Erde. Nach Belieben können die Forscher einzelne Gene ausschalten, die Ergebnisse sind mitunter erschreckend.
Mit einer genetischen Veränderung wächst den Fliegen ein Paar zusätzlicher Beine statt Antennen am Kopf. Eine andere Mutation bringt Männchen hervor, die kein Interesse mehr am anderen Geschlecht zeigen.
Die asexuellen Fliegenmännchen mit einer Mutation im Gen "fruitless" bilden mit ihren Geschlechtsgenossen spiralförmige Ketten, als würden sie eine Polonaise tanzen, statt sich für Weibchen zu interessieren.
Der erstaunliche Labor-Erfolg der Drosophila hatte vor allem praktische Gründe. Fruchtfliegen sind billig und vermehren sich einfach und schnell. Für die Genehmigung eines Versuches muss keine Ethikkommission überzeugt werden. Und außerdem wird immer deutlicher: Was bei der Fruchtfliege entdeckt wird, das gilt prinzipiell im gesamten Tierreich, oft auch beim Menschen.
Wirkliche Neuerfindungen sind in der Evolution der Lebewesen selten. Ob Wurm, Fliege, Fisch oder Maus, alle Tiere benutzen einen Grundbausatz an Genen, die sie auf immer neue Art kombinieren. Viele dieser Grundbausteine sind nichts anderes als Schalter, die wiederum andere Gene kontrollieren.
"Die molekularen Prozesse sind wesentlich ähnlicher, als wir es uns früher je vorgestellt hätten", sagt Ralf Sommer, Direktor am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen. Fruchtfliegen besitzen etwa 14.000 Gene, gar nicht so viel weniger als der Mensch. "Die Gene funktionieren in komplexen Netzwerken", erklärt Sommer. "Sieben solcher Netzwerke sind von den kleinsten Organismen bis hin zum Menschen konserviert."
"Mach andere Flügel"
So unterdrückt zum Beispiel das Gen ubx in der Drosophila die Ausbildung eines zweiten Flügelpaares - statt dessen wachsen den Fliegen nur kleine knüppelförmige Schwingkölbchen, mit denen sie sich beim Fliegen austarieren. Beseitigt man diese Anlage mit einer Mutation, bekommen die Fruchtfliegen zwei Paar Flügel.
Nun ist es aber nicht so, dass alle Insekten mit vier Flügeln kein oder ein defektes ubx-Gen besitzen - es hat dort nur eine andere Aufgabe. Zerstört man das ubx-Gen in Schmetterlingen, sehen sich vordere und hintere Flügel viel ähnlicher als zuvor. In Fruchtfliegen befiehlt das Gen "Mach keine Flügel", in Schmetterlingen dagegen "Mach andere Flügel."
Und so ziehen sich die genetischen Befehlsketten durch das Tierreich. Ein Gen, das in Fruchtfliegen die Verpuppung auslöst, ist jenem sehr ähnlich, das im Menschen das Einsetzen der Pubertät steuert. Eine weitere Erbanlage lenkt in der Fruchtfliege, bei Maus und Mensch gleichermaßen die Bildung der Augen, obwohl die Facettenaugen der Insekten und das Linsenauge der Säugetiere unterschiedlich aufgebaut sind.
Ist dieses Gen defekt, fehlen sowohl Menschen als auch Fliegen die Sehorgane. Als Schweizer Forscher den augenlosen Fliegen das entsprechende Mäuse-Gen einsetzten, bildeten die Insekten wieder Augen - aber Facettenaugen, keine Linsenaugen.
Jahrzehntelang interessierte Entwicklungsbiologen bei solchen Experimenten, wie sich das einzelne Tier vom Ei bis zum geflügelten Insekt entwickelt. Inzwischen aber verschmilzt die Entwicklungsbiologie mit der Evolutionsbiologie. Evo-Devo, nach evolution und development, heißt das Forschungsfeld.
Dabei ist die Idee eigentlich alt. Schon Charles Darwin hatte angenommen, dass die Entwicklung von Embryonen Zeugnis ablege von der gemeinsamen Abstammung aller Lebewesen. Die Entwicklung von der Eizelle zum komplexen Organismus ahme quasi die Stammesgeschichte nach, vermuteten Biologen danach. Erst heute lassen sich mit den Methoden der Molekulargenetik die wahren, etwas komplizierteren Zusammenhänge aufzeigen.
Drosophila ist nur einer von vielen Modell-Organismen, doch Forscher verdanken der kleinen, unscheinbaren Fliege viele Erkenntnisse. Tadeusz Kawecki will daher nicht recht einsehen, warum manche Menschen sie widerlich finden. "Sie sind einfach lustig. Als Biologe mag ich alle Tiere, nicht nur die großen, die ein flauschiges Fell haben."