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Ifo-Chef Sinn erklärt Klimapolitik für gescheitert

Archivmeldung vom 01.11.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 01.11.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Oliver Randak

Ifo-Chef Hans-Werner Sinn verschafft sich derzeit Aufmerksamkeit: Erst verglich er die Managerschelte mit der Judenverfolgung, nun wagt er sich in die Umweltpolitik vor. Grüne Energie wie etwa Windkraft sollte nicht gefördert werden – sie sorge im weltweiten Maßstab eher für höhere Emissionen.

Wenn der Ökonom Hans-Werner Sinn ein neues Buch vorstellt, schließt sich eine kontroverse Debatte an. Der im Hauptberuf als Präsident des für sein Konjunkturbarometer bekannten Ifo-Instituts in München wirkende Wissenschaftler hat sich die Klimapolitik vorgenommen, nein, vorgeknüpft: Im jetzt in Berlin vorgestellten „Das grüne Paradoxon – Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik“ (Econ, 24,90 Euro) nimmt Sinn alles auseinander, was der Staat gegen den Klimawandel unternimmt.

Wohlgemerkt, der streitbare Professor kritisiert die grüne Politik, nicht ihr Ziel. Dass die Erderwärmung von Menschen verursacht wird, hält Sinn für wissenschaftlich erwiesen. Er meint sogar, die Gefahr, die von diesem Phänomen ausginge werde „noch unterschätzt“. Sinn setzt kein Fragezeichen hinter den Klimawandel, sondern hinter die Politik, die ihn stoppen will.

Denn die vielen steuerlichen Vorteile, Preisgarantien und anderen Anreize für alternative Energien verfolgen das Ziel, die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen zu reduzieren. Dies gelänge aber nicht: „Nicht eine Tonne Kohlendioxid wird wegen der deutschen Windflügel und photovoltaischen Dächer weniger in die Luft geblasen, als es sonst der Fall gewesen wäre.“ Deutschland beteilige sich nämlich am Handel mit Emissionsrechten. Bei uns eingesparte Emissionen würden auf diesem Weg ins Ausland verkauft und gelängen dort in die Atmosphäre. Deutschlands Zuschüsse für Ökoenergie „subventionieren auf diese Weise den CO2-intensiven Aufschwung in China und erlauben den Amerikanern noch mehr SUVs zu fahren als sowieso schon“.

Sinn stellt nicht den Handel mit Emissionsrechten in Frage. Im Gegenteil: Er lobt ihn als marktwirtschaftliches Instrument, dass in einem „Super-Kioto“ auf die ganze Welt ausgedehnt werden sollt. Die USA haben das Klimaschutzabkommen bisher nicht unterschrieben, aber dies, so konstatiert Sinn, könnte sich unter einem neuen Präsidenten ja ändern. Das dürfte viele überraschen: Auch Hans-Werner Sinn hofft auf Obama.

Nicht der internationale Handel mit Emissionsrechten, sondern die deutsche Förderpolitik greift Sinn an. Sie sei nicht nur teuer und unwirksam, sondern – und das ist die wirklich neue These in dem 500 Seiten Werk – kontraproduktiv. Deutschlands Subvention von grünem Strom mache fossile Energie auf dem Weltmarkt billiger, da damit Nachfrage ausfalle, so Sinn. Die internationalen Abkommen, die auf eine Reduzierung des Öl- und Gasverbrauchs in der Zukunft abzielten, bewirken ebenfalls ihr Gegenteil: Weil die Länder, die Öl fördern, mit sinkender Nachfrage und damit Preisdämpfung rechneten, würden sie versuchen, die Förderung zu erhöhen bevor die Preisdämpfung greift. So heizen die Pläne zum Klimaschutz den Klimawandel an. Das ist das „grüne Paradoxon“, das dem Buch den Titel gibt.

Sinn schreibt: „Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der venezuelanische Präsident Hugo Chávez, die arabischen Ölscheichs und Putins Oligarchen sind die wahren Klimamacher. Sie bestimmen, wie schnell die Erderwärmung fortschreiten wird und haben damit das Schicksal der Menschheit in der Hand.“ Die Betonung der Angebotsseite als relevanter Teil des Marktgeschehens fügt sich in Sinns Gesamtwerk. Dieser Ansatz ist in Deutschland selten. Genauso wie die für Sinn charakteristische Mischung aus detaillierter bis detailistischer Argumentation bei gleichzeitiger extremer Verkürzung auf eine eingängige Kernthese. Vielen Linken gilt Sinn als scharfer Neoliberaler. Seit Jahren geistert er als „Professor Unsinn“ durch die Schmähreden von Oskar Lafontaine. Sinn – ein sturer Westfale, den auch lange Berufsjahre an der Isar nicht konziliant gemacht haben – legte sich aber auch mit konservativen Politikern und der Wirtschaft an.

Schon 1991 analysierte er in dem Buch „Kaltstart“ eine langanhaltende Wachstumsschwäche in Ostdeutschland als Folge der Wiedervereinigung. Zuletzt erfand er das Schlagwort „Basarökonomie“: Deutschlands Industrie stelle selbst kaum noch etwas her, sondern montiere nur noch in Niedriglohnländern hergestellte Vorprodukte. Das kam in der Autoindustrie – vor allem beim Branchenprimus Porsche – gar nicht gut an. Die Kontroverse um das „grüne Paradoxon“ hat schon begonnen. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) ließ zur Buchvorstellung ausrichten: „Nachdem Herr Sinn seine marktradikale Ideologie jahrelang als Wissenschaft verkauft hat, versucht er es nun auf einem Gebiet, von dem er ganz offensichtlich noch weniger versteht als von Finanzmärkten“.

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