Finanzexperten gespalten: Fiskalunion oder "Neuro" - BILD
Archivmeldung vom 27.06.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittHeimische Finanzmarktexperten spalten sich momentan in zwei Lager: Die Pessimisten, die einen Zerfall der Eurozone für möglich halten und die Optimisten, die darauf zählen, dass die EU die Probleme in den Griff bekommen kann. Die Anleger bereiten sich - teils unterschiedlich - auf die möglichen Szenarien vor, so die aktuelle Stimmung der Analysten beim Expertenforum "Q-Check" von APA-Finance und DerBörsianer am Dienstagabend. Ergänzt wurde die Kapitalmarktexpertenrunde, die mit der zehnten Ausgabe ein kleines Jubiläum feierte, um den CEO der update software AG, Thomas Deutschmann.
"Das Durchwurstln durch die Euro-Schuldenkrise wird immer schlimmer", befürchtet Erika Karitnig, Chief Investment Officer der BAWAG P.S.K. Invest. Die Probleme in der Euro-Zone werden größer, und die Arbeitslosigkeit wird weiter steigen. Irgendwann sei die Schmerzgrenze erreicht. Dann müsse sich die EU entscheiden: "Ja oder Nein zum Euro", so Karitnig. Entweder retten die Politiker die Gemeinschaftswährung mit Eurobonds und einer Fiskalunion oder der Euro zerfällt in Nachfolgewährungen - Karitnig spricht vom "Neuro", einem Umbruch über Nacht, der "etwas Neues" bringen würde. Sie empfiehlt für das dritte Quartal, das Risiko breit zu streuen.
Die Eurokrise ist auch am Immobilienmarkt deutlich zu spüren: Hubert Vögel, Geschäftsführer der Raiffeisen Immobilien KAG, erkennt eine klare Spaltung in Nord- und Südeuropa. Ein West-Ost-Gefälle gebe es aber nicht mehr. Ein Hauptproblem für den Sektor seien die Banken, die keine Deals mehr finanzieren würden. Über die erlahmte Bauindustrie schlägt die Krise voll durch - sie ist laut Vögel am tiefsten Stand seit zehn Jahren und eine Erholung nicht in Sicht. Die hohe Verschuldung der Eurostaaten bewertet er nicht so drastisch: "Japan hat auch Schulden in der Höhe von 220 Prozent des BIPs".
Für Alfred Reisenberger, Leiter des Asset Management der Wiener Privatbank, verlief das zweite Quartal an den Börsen gegensätzlich zum Auftaktquartal. Innerhalb des österreichischen Aktienindex ATX gebe es aber Unternehmen, "die auch in Krisenzeiten gut performen". Reisenberger ist überzeugt, dass die EU, allen voran Deutschland und Frankreich, die "richtigen Entscheidung" treffen und die Krise durch eine Fiskalunion entschärfen werden.
Peter Varga, Fondsmanager der Erste-Sparinvest, zeigte sich skeptisch hinsichtlich der Wirksamkeit der aktuellen politischen Maßnahmen gegen die europäische Schuldenkrise. In Europa müsse erst "Panik ausbrechen", damit die Politik die Probleme rund um die EU-Schuldenkrise ernst nehme. Im Moment sei es ein "Spiel", am Sparen führe jedoch kein Weg vorbei. Abseits der Euro-Zone sieht er ein Investmentpotenzial in den Schwellenländern. Hohe Wachstumsraten, niedrige Staatsverschuldung, steigender Wohlstand und höhere Gewinne würden für die "Emerging markets" wie Brasilien, Mexiko, Türkei, Russland, Indien oder China sprechen.
Beim Blick in die Auftragsbücher sieht der CEO des Softwarekonzerns update, Thomas Deutschmann, allerdings keine Krise. In den Kernmärkten Deutschland und Frankreich gebe es für den Softwareentwickler eine "robuste Entwicklung". Zurückgreifend auf die "Schöpferische Zerstörung" bei Joseph Schumpeter fehlt ihm in der gegenwärtigen politischen Debatte rund um die Euroschuldenkrise jedoch das schöpferische Element für eine mögliche Neuordnung. Letzen Endes sei die Steinzeit auch nicht wegen eines Mangels an Steinen zu Ende gegangen, sondern wurde vielmehr durch den Einsatz von Bronze abgelöst.
Quelle: APA-Finance (ots)