IWH erwartet heftige Kriegsfolgen für deutsche Wirtschaft
Archivmeldung vom 17.03.2022
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićDas Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) erwartet heftige Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine für die deutsche Wirtschaft. Das geschehe vor allem über einen Energiepreisschock, aber auch über die Unterbrechung von Handelsströmen und über eine allgemeine Verunsicherung, teilte das Institut am Donnerstag mit.
Zugleich
erhalte die Konjunktur aber von der Aufhebung vieler
Pandemie-Restriktionen einen kräftigen Schub. Das IWH prognostiziert,
dass das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2022 um 3,1 Prozent zunehmen wird
und der Verbraucherpreisindex um 4,8 Prozent höher liegt als vor einem
Jahr. Die ostdeutsche Wirtschaft werde vom Krieg kaum schwerer getroffen
als die Wirtschaft in Deutschland insgesamt, hieß es in einer Analyse.
Der Angriff Russlands auf die Ukraine habe die wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen in Europa drastisch verschlechtert.
"Die
Preise für Rohstoffe und Energie und hier besonders für Erdgas sind
stark gestiegen, die Sanktionen bringen den Russlandhandel, der über
Energielieferungen hinausgeht, nahezu zum Erliegen, und europäische
Aktienkurse haben deutlich an Wert verloren", so das IWH. Im Fall eines
Stopps der russischen Gaslieferungen wäre für Deutschland mit einer
Bewirtschaftung des Rohstoffs und einer scharfen Rezession vor allem im
Verarbeitenden Gewerbe zu rechnen. "Wenn, wie hier unterstellt, Gas
weiter geliefert wird, ist der konjunkturelle Haupteffekt der Krise der
Energiepreisanstieg, der zu Realeinkommenseinbußen der privaten
Haushalte und zum Verlust an Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen führt,
insbesondere wegen des in Europa besonders teuren Erdgases", so das
IWH. Auch würden Wertschöpfungsketten, die durch die Ukraine oder
Russland führten, zerrissen. "Der in den meisten Weltregionen schon vor
Kriegsbeginn hohe Inflationsdruck verstärkt sich weiter", so die
Analyse. Davon, dass in den USA geldpolitisch die Zügel gestrafft
würden, gehe das Risiko eines Konjunkturabschwungs im Land selbst, aber
auch weltweit einher.
Die deutsche Konjunktur treffe der Krieg
in einer Erholungsphase, nachdem die Winterwelle der Pandemie den
privaten Konsum und die wirtschaftliche Aktivität im Schlussquartal 2021
noch hatte schrumpfen lassen. "Auch wenn die Pandemie noch keineswegs
vorbei ist, dürfte die Erholung mit der Aufhebung vieler zur
Pandemiebekämpfung erlassener Restriktionen im März an Schwung
gewinnen", sagte Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik
und Vizepräsident des IWH. Denn die privaten Haushalte würden einen Teil
ihrer während der Pandemie angesammelten Ersparnis in den kommenden
Quartalen wohl zusätzlich verausgaben, was insbesondere den
Dienstleistern zugutekomme. Die Produktion dürfte im zweiten Quartal
deshalb recht kräftig expandieren. Freilich müssen die Konsumenten das
Geld auch dazu verwenden, die höheren Lebenshaltungskosten zu
bestreiten, denn die ohnehin schon starke Preisdynamik in Deutschland
werde durch den russischen Krieg noch einmal erhöht.
"Die
Teuerung, Ausfälle von Exporten nach Osteuropa und eine allgemeine
Verunsicherung sind Kanäle, über die der Krieg gegen die Ukraine die
deutsche Konjunktur dämpft, was sich in der zweiten Jahreshälfte in
deutlich niedrigeren Zuwachsraten der Produktion niederschlägt", so
Holtemöller. Der Aufbau der Erwerbstätigkeit verlangsamt sich nach
Berechnungen des IWH im Jahresverlauf 2022. Gegen Ende des Jahres komme
er aufgrund der starken Mindestlohnerhöhung nahezu zum Stehen. Die hohen
Energie- und Rohstoffpreise ließen den deutschen Leistungsbilanzsaldo
deutlich von 6,9 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt im Jahr
2021 auf 5,4 Prozent im Jahr 2022 sinken.
Das Haushaltsdefizit
dürfte im laufenden Jahr deutlich zurückgehen, denn mit der anziehenden
Konjunktur dürften vor allem die Einnahmen der Sozialversicherungen
beschleunigt expandieren, während die öffentlichen Ausgaben im
Zusammenhang mit rückläufigen Kosten der Corona-Pandemie kaum steigen
werden, so das IWH.
Quelle: dts Nachrichtenagentur