Bahn erhebt Bedienzuschlag für jedes einzelne Ticket
Archivmeldung vom 12.09.2008
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Freigeschaltet durch Oliver RandakDie Gebühr nennt sich Bedienzuschlag, doch erhoben wird sie nicht pro Kunde, sondern pro Ticket: Die Bahn hat mit der angekündigten Neuregelung zum Fahrkarten-Kauf am Schalter einen Sturm der Entrüstung ausgelöst - einem Bericht zufolge hat sich sogar Kanzlerin Merkel eingeschaltet.
Mit diesem Ausmaß an Empörung hatten die Verantwortlichen bei der Bahn wohl kaum gerechnet: Kunden beschweren sich, Politiker fordern eine Rücknahme der Pläne, Verbraucherschützer kündigen Widerstand an.
Der Grund: Der umstrittene "Bedienzuschlag" von 2,50 Euro bei der Bahn verdoppelt sich beim Kauf einer Hin- und Rückfahrkarte auf fünf Euro. Ein Bahnsprecher bestätigte am Donnerstag auf Anfrage, dass der Zuschlag beim Kauf am Schalter pro Ticket gelten wird. Generell fünf Euro werden auch für die sogenannten Sparpreis-Tickets erhoben, die es nicht für einfache Fahrten, sondern nur für Hin- und Rückfahrten gibt. Der Zuschlag soll ab Fahrplanwechsel am 14. Dezember gelten.
Noch genauer erläuterte Bahnsprecher Andreas Fuhrmann der "Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen" die Auswirkungen der Pläne: Werden während eines Bedienvorganges mehrere Fahrten gebucht, so wird für jede Fahrstrecke ein Bedienzuschlag von jeweils 2,50 Euro erhoben. Wer also gleichzeitig vier Fahrkarten am Schalter ordert, zahlt zehn Euro zusätzlich zum Fahrpreis. Immerhin werde auf eine einfache Fahrkarte für mehrere Personen nur der einfache Bedienzuschlag von 2,50 Euro erhoben.
Die Reaktion von Bundesverkehrsminister Tiefensee auf das Vorhaben der Bahn ist eindeutig: "Wenn das stimmt, dann schlägt das dem Fass den Boden aus". Er hatte zuvor den völligen Verzicht auf die Schaltergebühr gefordert, die insbesondere gegen die Bedürfnisse älterer Menschen verstoße, unabhängig davon, ob sie eine Bahncard hätten. Für die Bahn als "bürgerorientierte Einrichtung" sei es falsch, die Beratung vor allem älterer Menschen am Schalter zu erschweren. Diese Kritik habe Tiefensee laut einer Ministeriumsmitteilung auch in mehreren Gesprächen mit Bahn-Chef Mehdorn deutlich gemacht.
Bericht: Krisensitzung der Bahn am Freitag
Möglicherweise zeigen die scharfen Proteste aus der Politik Wirkung: Nach Informationen der Tageszeitung "Die Welt" will die Deutsche Bahn auf die Kritik mit einer Krisensitzung reagieren. Der Bahnvorstand komme am Freitag um 08.00 Uhr in Berlin zusammen. "Dabei will man prüfen, ob man die Gebühren mit weiteren Ausnahmen wie den Erleichterungen für Senioren retten kann. Funktioniert das nicht, und damit kann man nach der heftigen Kritik rechnen, müssen die Pläne auf Eis gelegt werden", sagte ein Aufsichtsratsmitglied der Zeitung.
Der "Welt" zufolge hat sich mittlerweile sogar Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eingeschaltet. "Die Kanzlerin hat mit Bahn-Chef Hartmut Mehdorn telefoniert und dabei ziemlich deutlich ihr Unbehagen über die Bedienzuschläge zum Ausdruck gebracht", zitiert das Blatt Regierungskreise. Noch sei man im Kanzleramt aber nicht entschlossen, Hartmut Mehdorn massiv zur Aufgabe seiner Gebührenpläne zu drängen.
Der Bahn-Aufsichtsrat habe bei seiner Sitzung am Mittwoch in London die zum Dezember geplante Preiserhöhung und die neuen Zuschläge abgenickt, weil man "im Grunde Verständnis dafür habe, dass die Bahn Mehreinnahmen brauche", zitierte die "Welt" ein anderes Mitglied des Gremiums.
Die Kritik der Gewerkschaften hat für Verärgerung im Konzern gesorgt: "Am Mittwoch saßen die Gewerkschaftsvertreter mit am Tisch und haben kein Wort zu den Preisplänen gesagt. Und einen Tag später ist der Aufschrei groß", kritisierte ein Aufsichtsrat dem Bericht zufolge die Haltung der Bahngewerkschaft Transnet.
Es gebe nun Überlegungen, ein Bonussystem einzuführen: "Man zahlt den Normalpreis fürs Ticket beim Schalterkauf. Aber wer es am Automaten zieht, zahlt 2,50 Euro weniger", sagte der Aufsichtsrat. Damit könne auch der Eigentümer Bund leben.
Juristische Schritte gegen die Gebühr?
Schon bevor die neuen Details der angekündigten Bahn-Regelung bekannt geworden waren, hatte es massive Proteste von Politikern und Verbänden gegeben. Bahn-Chef Mehdorn hatte daraufhin angekündigt, den Zuschlag wenigstens nicht von Besitzern einer Senioren-Bahncard sowie von Behinderten zu kassieren.
Die teilweise Rücknahme der Gebühr ist Politikern aller Parteien sowie den Sozial- und Verbraucherverbänden allerdings zu wenig. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (VZ NRW) kündigte am Donnerstag an, juristisch gegen die Gebühr vorgehen zu wollen. Die bisherigen Zugeständnisse des Konzerns und die Ausnahmen von dem Zuschlag seien nicht ausreichend, erklärte VZ-NRW-Vorstand Klaus Müller.
Hinter dem Verkauf am Schalter stehe keine zusätzliche Leistung und am Ende kein Mehrwert für den Kunden. Die Leistung für den Kunden sei also identisch, betonte Müller. In dieser Hinsicht gebe es eine eindeutige Rechtsprechung, etwa aus dem Bankenbereich: Wenn Kunden keine zusätzlichen Leistungen erhielten, seien höhere Gebühren nicht gerechtfertigt. Die geplante Gebühr der Bahn sei ein reiner "Strafzuschlag" für den Kauf am Schalter, kritisierte Müller.
Die VZ NRW will nun die Veröffentlichung der neuen Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch die Bahn abwarten. Sollte "dieses überflüssige Extra-Entgelt" darin dann weiterhin auftauchen, "wird die Verbraucherzentrale NRW rechtliche Schritte - von der Abmahnung bis zur Klage - gegen die kundenfeindliche Praxis vorbereiten", kündigte Müller an.
Kritik von Verbraucherverbänden
Die Schaltergebühr der Bahn sei durch nichts zu rechtfertigen, sagte auch der Präsident des Sozialverbandes Deutschlands, Adolf Bauer, der "Passauer Neuen Presse": "Angesichts der jüngsten Gewinne der Bahn muss es möglich sein, den Schalterservice auf dem heutigen Niveau beizubehalten."
"Die Servicegebühr ist ein Unding. Herr Mehdorn sollte sie komplett zurücknehmen", sagte die verbraucherpolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, Julia Klöckner (CDU). Auch die Grünen fordern den Verzicht auf die Schaltergebühr: "Für ein Dienstleistungsunternehmen muss es eine Selbstverständlichkeit sein, dass Service inklusive ist", sagte Winfried Herrmann, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Die vom Bahn-Chef angekündigten Korrekturen seien nicht mehr als "ein Alibi-Rückzug". Service-Pauschale und die geplante Preiserhöhung seien der falsche Weg. "Die Bahn ist eh schon zu teuer", sagte Herrmann.