Bankenkrise: Beraten statt verkaufen - Provisionsgeschäft bricht weiter ein
Archivmeldung vom 17.01.2009
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Freigeschaltet durch Oliver RandakDas ertragsreiche Mehrwertgeschäft der Banken, der Verkauf von Wertpapieren und die damit einhergehenden Provisionszahlungen, haben einen schweren Schlag erlitten. Doch weitere Blasen drohen zu platzen. Darunter der Gewerbeimmobilienmarkt, Schiffsfinanzierungen oder das Geschäft mit Staatsanleihen
Die Commerzbank vergibt künftig zinsgünstige Kredite an Unternehmen, die in den Umweltschutz investieren und auf Kündigungen verzichten. Das verkündet Commerzbank-Chef Martin Blessing auf der Hauptversammlung. Dort erläutert er den Aktionären auch die moderaten Ertragszahlen seiner Bank und fordert für das kommende Jahr Bescheidenheit. Der Ertrag könne allenfalls stabil bleiben, schließlich würde die Bank die Gehälter ihrer Berater um zehn Prozent erhöhen. Außerdem sollten die Kunden künftig in erster Linie gut beraten werden, statt ihnen ständig neue Produkte zu verkaufen. Damit würden die Provisionen drastisch zurückgehen. Macht nichts: „Ein kleiner, aber feiner Gewinn am Ende des Jahres ist doch auch schön“, tröstet der Manager seine Anteilseigner.
Alles nur ein Traum? Wenn es nach Detlev von Larcher ginge, dem Finanzmarktexperten der globalisierungskritischen Organisation Attac, würde das Bankensystem genau so aussehen. Larcher fordert, dass die Finanzinstitute sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren: das Aufbewahren und Verleihen von Geld und die Abwicklung monetärer Transfers. Ein System, das solide wirtschaftet, aber nicht Jahr für Jahr Rekordgewinne anstrebt. Ein Bankenwesen, das ohne hochkomplizierte Dinge auskommt wie Kreditverbriefungen oder Leerverkäufe. Die Chancen, dass Larchers Traum zumindest ansatzweise wahr wird, standen noch nie so gut.
Denn die Bankenbranche steht vor einem radikalen Umbruch. Längst ist aus der Krise einzelner Institute ein Problem des gesamten Systems geworden. Der Staat steigt als Aktionär bei der Commerzbank ein und indirekt auch bei der Deutschen Bank. Der Branchenprimus schockt die Finanzwelt mit Milliardenverlusten. Berlin denkt auch über eine Verstaatlichung des angeschlagenen Immobilienfinanzierers Hypo Real Estate nach.
Die Banken belastet nicht nur das Geschäft mit Immobilienkrediten, die in Form von inzwischen vielfach wertlosen Wertpapieren in die ganze Welt verkauft wurden. Diese haben die meisten Institute bereits abgeschrieben. 2009 werden den Banken vielmehr wesentliche Geschäftsbereiche wegbrechen — angefangen beim Firmenkundengeschäft über den Gewerbeimmobilienmarkt und Schiffsfinanzierungen bis hin zum Geschäft mit Staatsanleihen. Platzen auch diese Blasen, dürften nahezu alle Banken Verluste schreiben. Nach Informationen der WirtschaftsWoche stellt sich die Bundesregierung bereits darauf ein. In den Regierungsfraktionen heißt es, dass dann noch mehr Geld zur Rettung der Banken zur Verfügung gestellt werden müsse.
Besonders peinlich sind seine schlechten Zahlen für den Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann. Stets hatte er betont, auf Staatshilfe nicht angewiesen zu sein. Doch nun hat auch der stolze Ackermann Finanzminister Peer Steinbrück mit am Tisch sitzen, wenn auch nur indirekt. Um den Kauf der Postbank planmäßig durchziehen zu können, ohne dass die Deutsche Bank ihre Eigenkapitalquote senken muss, steigt der bisherige Mehrheitseigentümer der Postbank, die Deutsche Post, mit acht Prozent bei der Deutschen Bank ein. Die Post gehört zu 31 Prozent der staatlichen KfW Bankengruppe. Am liebsten wäre Ackermann, wenn der Staat auch gleich eine sogenannte Bad Bank gründen würde, bei der dann alle Banken ihre faulen Wertpapiere abladen können. Dann würde das Geschäft wieder rund laufen, und die Institute müssten sich nicht mit dem neuen Eigentümer Staat herumschlagen.
Der Einstieg Berlins bei immer mehr Banken steht an. Denn die nächsten Milliardenverluste sind programmiert, es gibt kaum noch ein Bankgeschäft, das in diesem Jahr funktionieren wird. Die gefährlichsten Blasen:
Das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland wird 2009 um 1,2 Prozent sinken, sagen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute voraus. Die Experten des Frankfurter Investmenthauses Equinet erwarten daher, dass auch die Unternehmenskredite um drei Prozent zurückgehen – bei einem gleichzeitigen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen um 15 Prozent auf mehr als 34.000. Die Folgen für die Banken wären verheerend.
Die steigende Zahl der Pleiten könne dazu führen, dass die Kreditausfallraten europäischer Unternehmen bis Ende 2010 auf mehr als 20 Prozent ansteigen. Zu diesem Ergebnis kommt die Ratingagentur Standard & Poor’s.
Die Equinet-Analysten gehen davon aus, dass von dem erwarteten wirtschaftlichen Abschwung besonders die Commerzbank betroffen sein wird. Die Bank hat Ende des dritten Quartals Kredite in Höhe von insgesamt 296 Milliarden Euro in den Büchern gehabt. Fast die Hälfte davon beläuft sich laut Equinet auf gewerbliche Immobilienkredite sowie Kredite an mittelständische Unternehmen. Hinzu kommt das Kreditbuch der Dresdner Bank mit Kundenkrediten in Höhe von 102 Milliarden Euro Ende 2007. Auch die Deutsche Bank sowie die Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die einen wesentlichen Teil ihres Ertrags durch Unternehmenskredite erwirtschaften, werden unter zunehmenden Kreditausfällen leiden.
Von der Wirtschaftskrise besonders betroffen ist die Logistikbranche, speziell die Schifffahrt. Wenn weniger produziert wird und der Handel weniger bestellt, gibt es auch weniger zu transportieren. Damit geht für die Banken der Umfang der zu vergebenden Kredite zurück: Der Bedarf für Wachstumsfinanzierung sinkt, zugleich steigt das Ausfallrisiko.
Zu dramatischen Einbrüchen dürfte es in der Schiffsfinanzierung kommen. Seit März 2008 sei der Chartermarkt für Containerschiffe massiv eingebrochen, sagt Harald Christ, der mit seinem Private- Equity-Unternehmen Christ Capital vor allem in die Schifffahrt investiert. Eine zusätzliche Bedrohung „resultiert aus der bevorstehenden Auslieferung neuer Containerschiffe, die bestellt wurden, als es der Branche noch besser ging“, sagt Christ. Dies führe nun zu gefährlichen Überkapazitäten. Mit einer Erholung in diesem Jahr rechnet er nicht.
Dramatisch sei auch der Einbruch in der sogenannten Bulkschifffahrt. Hierunter versteht man Hohlraumschiffe, die Rohstoffe wie Weizen oder Kohle transportieren. Dieser Bereich befinde sich seit Mitte 2008 im freien Fall, sagt Christ.
Die Krise wirkt sich auch auf die Werften aus. Die Zahl der bestellten Schiffe ist in den vergangenen drei Monaten drastisch zurückgegangen. Schlechte Aussichten vor allem für die Banken, die sich auf Schiffsfinanzierungen spezialisiert haben wie die HSH Nordbank und in kleinerem Umfang auch die Nord/LB. Anna Lozmann, Analystin bei der Ratingagentur Fitch rechnet damit, dass es in diesem Jahr „bei der HSH Nordbank möglicherweise zu größeren Kreditausfällen kommen könnte. HSH Nordbanks Spezialisierung im globalen Schiffsmarkt gibt der Bank einen längerfristigen Wettbewerbsvorteil. Allerdings entsteht dadurch eine hohe Risikokonzentration, die in einer Wirtschaftsflaute zu einem instabilen Ergebnis führen kann.“
Ein weiterer Risikofaktor der Banken, der 2009 in den Fokus geraten wird, ist die Finanzierung von Gewerbeimmobilien. In Deutschland ist der Markt laut Equinet noch relativ stabil, international rechnen die Analysten allerdings mit weiteren Preisanpassungen. Vor allem die Märkte in Großbritannien, Spanien, Dänemark und den USA seien kritisch zu bewerten. Und ausgerechnet dort haben sich die deutschen Banken laut Equinet besonders stark engagiert. „Um bis zu 20 bis 25 Prozent könnten die Werte der Immobilien in diesem Jahr in Großbritannien einbrechen“, sagt Stefan Frank, Bankenexperte bei der Beratung Bain & Company.
Für Deutschland erwartet Marcus Lemli, Leiter Capital Markets beim Immobiliendienstleister Jones Lang LaSalle, vor allem für die zweitklassigen Lagen und Qualitäten weitere Preissenkungen.
Die Banken sind in zweierlei Hinsicht betroffen. Sie legen Immobilienfonds auf, die aufgrund der aktuellen Entwicklungen zum Teil geschlossen wurden. „Die Banken werden mit dem Fondsgeschäft weniger verdienen“, sagt Lemli. Zudem ist das Risiko von Kreditausfällen hoch: „Die Ausfälle im Bereich Gewerbeimmobilien werden die Banken vor allem 2010 sehen“, sagt Bain-Berater Frank.
Betroffen sind besonders die Hypo Real Estate und die Commerzbank-Tochter Eurohypo sowie die Aareal Bank. Aber auch Deutsche Bank und Postbank finanzieren in großem Stil gewerbliche Immobilien. Für das Immobilienportfolio der Postbank erwartet Equinet 2009 zunehmende Beeinträchtigungen.
Der Konjunktureinbruch hat auch Osteuropa erreicht. Am schlimmsten trifft es die Ukraine und Ungarn, so die Einschätzung der Raiffeisen Zentralbank Österreich. In Ungarn leiden alle Sektoren, Tschechien ist besonders im Automobilsektor hart getroffen. So soll das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Südosteuropa von 6,7 Prozent 2008 auf 2,5 Prozent einbrechen. Noch härter schmieren die GUS-Staaten ab: Statt 6,2 Prozent schätzt Raiffeisen das Wachstum nur noch auf 0,6 Prozent.
Die deutschen Banken haben allein in Polen Forderungen von 50 Milliarden Dollar, in Ungarn sind es rund 37 Milliarden, in Tschechien rund elf. Wie viel sie von dem Geld wiedersehen, ist unsicher. „In einigen osteuropäischen Ländern haben deutsche Banken auch Kredite in Euro oder Schweizer Franken vergeben. Wenn die lokalen Währungen aber einbrechen wie der Forint im Herbst 2008, erhöhen sich die monatlichen Tilgungsraten der Kreditnehmer und damit das Ausfallrisiko für die Bank, besonders bei Privatkunden“, sagt Fitch-Analyst Michael Steinbarth.
Die Commerzbank ist vor allem über ihre Tochter BRE Bank in Osteuropa engagiert, zu der die polnische MultiBank gehört. Ihre Risikovorsorge für das Kreditgeschäft im Osten haben die Commerzbanker im dritten Quartal 2008 bereits verdoppelt. Auch die BayernLB war in den vergangenen Jahren über ihre Tochter Hypo Group Alpe Adria und MKB in Osteuropa sehr aktiv. „Für die BayernLB wird die Hypo Group Alpe Adria ein wichtiges Thema sein. Allein schon dadurch, dass deren Risikostandards weiter an die höheren Anforderungen der Mutterbank angepasst werden, können weitere Abschreibungen drohen“, sagt Fitch-Analyst Steinbarth.
Für Verluste könnte auch eine Spekulationsblase bei Staatsanleihen sorgen. „Die extreme Kapitalflucht raus aus allen risikobehafteten Anlagen führte zu einer extremen Rally bei Staatsanleihen“, warnt Helmut Knestel, Fondsmanager beim Vermögensverwalter Gecam. Die extrem hohe Nachfrage nach den sicheren Staatspapieren treibt die Kurse der Papiere weiter in die Höhe. „Nicht ausgeschlossen, dass genau hier die nächste Spekulationsblase platzt“, warnt Knestel.
Der Euro-Bund-Future, der die Entwicklung der Bundesanleihe-Kurse wiedergibt, stieg am vergangenen Mittwoch auf das Rekordniveau von 125,62 Punkten. Steigen die Kurse, fallen automatisch die Renditen: Deutsche Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit bieten nur noch rund drei Prozent, bei US-Staatsanleihen sind es nur knapp über zwei Prozent. „Auf die Dauer lassen sich diese geringen Renditen kaum rechtfertigen“, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank: „Irgendwann wird diese Blase platzen.“
Wenn eine Flucht aus Staatsanleihen einsetzt, wären vom damit verbundenen Kursrutsch auch die Versicherer und Banken betroffen, die in vermeintlich sichere Staatspapiere investiert haben.
Alles zusammengenommen dürfte kaum ein Institut dieser Krise des klassischen Bankgeschäfts entkommen – bis hin zu kleinen Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Deshalb stellt sich nach Informationen der WirtschaftsWoche die Bundesregierung darauf ein, dass es weitere Bitten um Staatshilfe geben wird. Mit 40 bis 50 Anfragen wird gerechnet. In Berlin gehe man davon aus, dass die 480 Milliarden Euro, die der Staat über den Finanzmarktstabilisierungsfonds zur Verfügung gestellt hat, nicht reichen.
Eine Bad Bank zu gründen hält kaum jemand für eine sinnvolle Alternative. Jochen Sanio, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ist der Meinung, dass es für die Banken nicht reicht, den Giftmüll in einer Bad Bank abzuladen um wieder vertrauenswürdig zu werden. Zusätzlich müsste die Regierung ihnen „eine Blanko-Ankaufgarantie für alle zukünftigen Eventualitäten abgeben, eine Garantie, die nicht quantifizierbar wäre“, sagt Sanio. „Spätestens bei dieser Vorstellung siegt in mir der Steuerzahler über den Aufseher.“
Ob über die akute Überlebenshilfe hinaus der Staat auf Dauer der geeignete Problemlöser der Banken sein kann, ist fraglich. Dass die Regierung sich nicht mit der Rolle des fröhlichen Spendieronkels begnügen will, sondern über den Kauf von Aktien direkten Einfluss sucht, ist zwar verständlich. Wie die bisherigen Erfahrungen zeigen, hat der Staat dabei aber längst nicht immer ein gutes Händchen.
Es gibt bereits zahlreiche staatlich dominierte Banken. Die sechs Landesbanken gehören teilweise mehrheitlich den Bundesländern. Die KfW Bankengruppe sowie teilweise die Postbank gehören dem Bund, die meisten Sparkassen den Kommunen.
Gerade die Landesbanken sind allerdings bekannt für jahrzehntelange Misswirtschaft. Von Babcock über Boxclever bis Premiere, von Flug- bis Eigenhandelsaffäre — an kaum einem Skandal in den vergangenen Jahrzehnten waren nicht zumindest die Düsseldorfer WestLB oder die Münchner BayernLB beteiligt. Obwohl die Landesbanken als Zentralen für die Sparkassen längst nicht mehr gebraucht werden und die meisten über kein sinnvolles Geschäftsmodell verfügen, halten die Landespolitiker stur an ihnen fest.
Zudem fehlt den Politikern oftmals das Know-how, um als Aufsichtsräte die Banken zu kontrollieren. Prominentestes Beispiel: Die Sachsen LB saß zuletzt auf Kreditpapieren im Umfang von 39 Milliarden Euro, bei einem Eigenkapital von 1,4 Milliarden. Stutzig gemacht hatte das niemand.
Ähnlich war es bei der IKB. Die KfW-Tochter sollte sich auf die Finanzierung des deutschen Mittelstands konzentrieren. Weil sich hier jedoch kaum Gewinne erwirtschaften ließen, stieg die Bank in den Handel mit Kreditpapieren ein. Sie musste schließlich von der gesamten Bankenbranche vor der Insolvenz gerettet werden.
Der Staat werde Bankenkrisen nicht verhindern, sagt Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Die Regierung habe zwar ein Interesse an einem stabilen Banksystem. „Aber andererseits möchte man möglichst viel Wachstum haben, und das klappt wiederum nur, wenn man teilweise über die Verhältnisse lebt und die Risiken ignoriert“, sagt er. Hier gebe es eine Schizophrenie im System. Man müsse sich entscheiden: „Entweder hohes Wachstum mit Exzessen und Krisen oder mehr Stabilität, aber weniger Wachstum.“
In jedem Fall haben die Bankenrettungsaktionen teure Folgen. Die 480 Milliarden Euro belasten den Bundeshaushalt. Berlin finanziert die Hilfen auf Pump, die Zinslast tragen die Steuerzahler.
Peter Wahl, Finanzexperte der Organisation World Economy, Ecology and Development (Weed), sieht in der Finanzkrise das Scheitern „des privaten Bankenwesens“. Nun müsse das Bankgeschäft grundlegend reformiert werden, fordert er. Wenn eine Bank zu groß ist, um sie pleitegehen zu lassen, müsse man sich fragen, ob dann mit der Größe der Bank etwas nicht stimmt. Außerdem sollten sich die Banker wieder auf ihr Kerngeschäft vor Ort konzentrieren. „Die Allgemeinheit soll das Bankwesen jetzt über Wasser halten, dann muss es künftig auch der Allgemeinheit dienen.“ Die Chancen für eine grundlegende Reform standen noch nie so gut.