Überfragte Wirschaftsforscher
Archivmeldung vom 22.12.2008
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Freigeschaltet durch Oliver RandakWirtschaftsforscher warnen vor einem historischen Abschwung 2009 – dabei geben sie zu, die Krise nicht erklären zu können.
Der VfL Bochum wird im kommenden Jahr mit ziemlicher Sicherheit nicht
deutscher Fußballmeister. Boris Becker wird sich vermutlich eine neue
Freundin angeln. Dass Oskar Lafontaine im September zum Bundeskanzler
gewählt wird, ist hingegen eigentlich auszuschließen. Ebenso, dass
irgendjemand Franjo Pooth zum Unternehmer des Jahres kürt. Und erst
recht, dass Bushido internationale Erfolge mit Werken der Zwölftonmusik
feiern wird.
All dies lässt sich mit relativer Sicherheit für 2009 prognostizieren.
Im Gegensatz zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik: Klar
scheint nur zu sein, dass dem Land die tiefste Krise seit 1945
bevorsteht. Doch wie lange uns die Rezession plagen wird, wie viele
Arbeitsplätze auf der Kippe stehen, wie viele Unternehmen in die Pleite
rutschen – keiner weiß es genau. Auch nicht die Leute vom Fach, die
Konjunkturprognostiker. Das Zusammentreffen von Finanz-, Immobilien-
und Wirtschaftskrise ist, sagen sie, einmalig in der jüngeren
Geschichte ihrer Wissenschaft. „Wir stehen ziemlich nackt da, weil
unsere Erklärungsmuster in solchen außergewöhnlichen Situationen nicht
greifen“, gibt der Chef eines angesehenen westdeutschen Instituts zu.
Ein anderer klagt, es sei noch nie so schwer gewesen wie heute, eine
seriöse Prognose abzuliefern. Dennoch weissagen die Ökonomen den Lauf
der Welt munter weiter – und laufen Gefahr, sich bis auf die Knochen zu
blamieren. Die Halbwertszeit einer Prognose ist jedenfalls deutlich
kürzer geworden. Schon in diesen Tagen wird manche Berechnung
korrigiert, auch wenn seit ihrer Vorstellung erst vier Wochen ins Land
gegangen sind.
Schon in der Vergangenheit ließ die Treffsicherheit der
Wirtschaftsforscher oft zu wünschen übrig. Vor allem mit
konjunkturellen Wendepunkten tun sie sich schwer. So prophezeite der
Sachverständigenrat während des vorletzten Booms Ende 2000, dass der
Aufschwung weitergehen und das Bruttoinlandsprodukt um satte 2,8
Prozent zulegen werde. Tatsächlich reichte es am Ende gerade noch zu
0,6 Prozent Zuwachs. Umgekehrt war es zu Beginn der letzten
Wachstumsphase Ende 2005: Die Prognosen für das Folgejahr schwankten
zwischen 1,0 und 1,6 Prozent. Tatsächlich wurde es mit 2,5 Prozent
eines der besten Jahre seit der Wende.
Die Finanzkrise und ihre fatalen Folgen hatte wieder keiner der
Experten auf der Rechnung. Nun ist die Zunft aufgescheucht. „Viele
Kollegen haben an Modellen festgehalten, bei denen Krisen mehr oder
weniger nicht vorkommen“, moniert Gustav Horn vom gewerkschaftsnahen
Institut IMK, der 2008 einer der exaktesten Prognostiker war. Andere
wie Klaus Zimmermann, Chef beim Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung, geben ihre Ratlosigkeit offen zu und regen eine
Prognosepause an – gegen den Widerstand anderer Forscher. Wieder andere
überbieten sich mit düsteren Szenarien wie nie, die Commerzbank etwa
sieht eine „Superrezession“. Da halten es die Experten wohl mit dem
US-Computerguru Alan Key. Der sagte einmal: „Die beste Art, die Zukunft
vorauszusagen, ist die Zukunft zu erfinden.“