Finanzinvestoren kaufen Facharztpraxen in großem Stil
Archivmeldung vom 20.01.2020
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Freigeschaltet durch André OttImmer mehr niedergelassene Fachärzte verkaufen ihre Arztsitze an Firmen oder internationale Finanzinvestoren. Das berichtet die "Welt am Sonntag". Auf Anfrage teilte die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung mit, dass Zahnarztzentren in Investorenbesitz im Jahr 2018 pro Patient rund ein Drittel mehr mit den Kassen abrechneten als Praxen in Arztbesitz.
Bei den Augenärzten etwa in Baden-Württemberg stieg die Zahl der ambulanten Operationen am Grauen Star in den vergangenen Jahren parallel zum Anstieg der Medizinischen Versorgungszentren um mehr als ein Viertel. Diese Zahlen nähren Befürchtungen von Gesundheitspolitikern, Ärzte- und Kassenvertretern, dass aufgrund von ambitionierten Gewinnerwartungen mehr und teils unnötige Behandlungen in Versorgungszentren von Investmentfirmen verordnet und mit den Kassen abgerechnet würden.
Bundesweit arbeiten bereits rund 18.000 der insgesamt 94.000 Fachärzte, die Kassenpatienten versorgen, als Angestellte bei sogenannten Medizinischen Versorgungszentren. Seit der gesetzlichen Öffnung hierfür sind etwa 4.100 solcher Zentren entstanden, die teilweise bundesweit Arztketten bilden. Hinter fast je
dem sechsten Zentrum stehen Investorenfirmen, teils mit Sitz in Steueroasen wie den Cayman Islands. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert, den Verkauf von Arztsitzen an Finanzinvestoren zu verbieten. "Wenn solche stark profitorientierten Mehrheitseigner die ambulante Versorgung betreiben, entstehen unüberwindbare Interessenkonflikte", sagte Lauterbach der "Welt am Sonntag".
Das Geschäftsmodell der Fondsgesellschaften bestehe darin, die Praxisverbünde profitabler zu machen und sie nach wenigen Jahren gewinnbringend weiterzuverkaufen. Auch die größte gesetzliche Krankenkasse AOK fordert engere gesetzliche Regeln für die Verkäufe. "Auf jeden Fall müssen die Eigentümerstrukturen in diesem Bereich und die wirtschaftlichen Verflechtungen transparenter werden", sagte der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, Wolfgang Eßer, nannte die Verkaufswelle einen "unumkehrbaren Systemumbau" hin zu einem gewerblich orientierten Gesundheitswesen. Auch der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, warnte vor dem Entstehen "konzernartiger Strukturen", die möglicherweise die freie Arztwahl der Patienten beschränken könnten.
Die Deutsche Apotheker- und Ärztebank sieht die Verkaufswelle erst am Anfang. "Wir gehen davon aus, dass die Zahl der Verkäufe von Arztsitzen in den kommenden Monaten und Jahren deutlich anziehen wird", sagte Daniel Zehnich, Leiter des Bereichs Gesundheitsmärkte und Gesundheitspolitik bei der Bank. Denn viele niedergelassene Ärzte stünden kurz vor dem Ruhestand. Verkauften Ärzte Praxen an Investoren ließen sich teils deutlich höhere Preise erzielen als bei der Übergabe an andere Ärzte. Die Betreiber der Arztketten bezeichneten die Sorgen der Kassen und Gesundheitspolitiker als unbegründet. Praxisverbünde erlaubten es Ärzten vielmehr, sich "voll der Patientenversorgung zu widmen", statt einen Großteil ihrer Zeit für die Verwaltung aufwenden zu müssen, sagte Daniel Wichels, Chef der Zahnarztkette Zahneins und Vorsitzender des Bundesverbandes für nachhaltige Zahnheilkunde, die die Interessen zahnmedizinischer Versorgungszentren vertritt.
Die Linke-Bundestagsfraktion kritisierte bereits 2019 in einem Antrag an den Bundestag, Patienten könnten kaum noch feststellen, wem ein Behandlungszentrum gehöre und an wen die Gewinne flössen. Sie fordert eine Offenlegungspflicht der Eignerstrukturen. Das Bundesgesundheitsministerium kündigte auf Anfrage an, "zeitnah ein Gutachten zur Weiterentwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Medizinische Versorgungszentren" in Auftrag zu geben. Es solle Klarheit über mögliche Zusammenhänge zwischen den Trägerstrukturen und der Versorgungsqualität bringen.
Quelle: dts Nachrichtenagentur