Fachkräftemangel und bürokratische Hürden: Der Solarbranche droht ein Installationsinfarkt
Archivmeldung vom 28.03.2022
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićIn "Tesla-Geschwindigkeit" will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Energiewende vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und der leidigen Abhängigkeit von russischem Gas und Öl vorantreiben. Man muss nicht mal ausgemachter Pazifist oder leidenschaftlicher Klimaschützer sein, um die Dringlichkeit dieses Anliegens zu verstehen.
Jeder Autofahrer, der dieser Tage für 2,20 Euro tankt und jeder Privatverbraucher, der gerade einen neuen Stromvertrag für durchschnittlich 40,64 Cent pro Kilowattstunde abschließt, spürt die Notwendigkeit eines schnellen Wandels in der eigenen Brieftasche.
Noch fehlt es der markigen Ankündigung des Ministers aber ganz gewaltig an Substanz. Nur ein Beispiel: Ab 2025 soll jede neu eingebaute Heizung mit mindestens 65 Prozent aus Erneuerbaren Energien laufen (siehe Infokasten). Das klingt auf dem Papier gut und bedeutet nichts anderes als die großflächige und rasante Einführung von Wärmepumpen. Die fressen aber jede Menge Strom (das Wirtschaftsministerium spricht von einem Anstieg des Verbrauchs von 20 Prozent im Vergleich zu 2021), der dafür natürlich nicht aus schmutzigen Quellen wie Gas und Öl stammen darf - das perfekte Argument für die Installation einer Solaranlage auf dem eigenen Dach.
Sollte man jedenfalls meinen, denn in der Realität geht der Ausbau viel langsamer voran als notwendig. Gerade mal 235.000 Solaranlagen wurden 2021 in Deutschland installiert, es müssten aber laut Otovo-Geschäftsführer Christian Rahn "mindestens zwei bis drei Millionen sein, um die ambitionierten und notwendigen Ziele zu erreichen und die rund 11,7 Millionen freien Dächer rechtzeitig zu bebauen." Für den Deutschland-Chef der Solar-Plattform, die Installateure und Endkunden zusammenbringt und so europaweit jedes Jahr Tausende Photovoltaik-Anlagen ans Netz bringt, sind die Gründe für den schleppenden Fortschritt mannigfaltig: "Die Ankündigung eines 'Osterpakets' im Januar ist vor diesem Hintergrund etwa ebenso unglücklich wie die vagen Versprechungen zukünftige Förderungen betreffend." In beiden Fällen würden Kunden lieber abwarten, obwohl das generelle Interesse und die Nachfrage spürbar und stetig stiegen. In Kombination mit dem bestehenden und sich weiter verschärfenden Handwerkermangel und hohen bürokratischen Hürden bei der Zulassung muss man kein Prophet sein, um einen drohenden Installationsinfarkt vorauszuahnen.
Das Siebenfache für eine Megawattstunde
"Ich möchte autark sein", ist einer der Sätze, die Rahn momentan in fast jedem Kundengespräch hört, "sowohl wirtschaftlich als politisch." Tatsächlich kündigte Ursula von der Leyen auf dem EU-Gipfel in Versailles in der vergangenen Woche "Optionen für Sofortmaßnahmen zur Begrenzung der Ansteckungswirkung der Gaspreise auf die Strompreise" an, etwa "vorübergehende Preisobergrenzen". "Doch dafür ist es im Grunde genommen längst zu spät", befürchtet Rahn: "Stromanbieter zahlen auf den Großmärkten im Vergleich zum März 2021 mit 322 Euro mittlerweile das Siebenfache für eine Megawattstunde. Ein Anstieg, der über kurz oder lang zumindest teilweise an die Endkunden weitergegeben wird.
Otovo-Chef Rahn fordert deshalb "einen echten Paradigmenwechsel in der deutschen Solarpolitik". Radikal umgedacht werden müsse zum Beispiel beim Thema Förderprogramme: "Um den absehbaren Engpass zumindest abzufedern und einen Kannibalisierungseffekt beim nötigen Einbau von Wärmepumpen zu vermeiden, brauchen wir mutige Programme für die rund 100.000 zukünftig benötigten Fachkräfte und Quereinsteiger." Außerdem "muss die Politik sämtliche administrativen und bürokratischen Hürden eliminieren, um sowohl Kunden als auch Handwerksbetriebe zu entlasten." Nur dann könne die massive Nachfrage bewältigt und der drohende Installationsinfarkt erfolgreich abgewendet werden.
"Natürlich werden Solaranlagen und Solarstrom nicht reichen, um die Energiewende allein zu stemmen", sagt Rahn. "Sie sind aber ein unverzichtbarer Baustein auf dem Weg dahin - einem Weg, der nur gemeinsam und mit Hilfe der Politik erfolgreich gemeistert werden kann."
Quelle: Otovo (ots)