Institute rechnen im laufenden Jahr nur noch mit Mini-Wachstum
Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Wachstumsprognose für Deutschland deutlich gesenkt. In ihrem Frühjahrsgutachten prognostizieren die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute für das laufende Jahr nur noch eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts von lediglich 0,1 Prozent, im September rechneten sie noch mit 0,8 Prozent. Für das Jahr 2026 erwarten die Institute einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 1,3 Prozent.
Kurzfristig belasteten die neue US-Zollpolitik und die wirtschaftspolitische Unsicherheit die Wirtschaft in Deutschland. Die Mittel aus den zusätzlichen Verschuldungsspielräumen dürften nach und nach expansiv wirken, drohten aber den privaten Konsum und private Investitionen zu verdrängen, so die Ökonomen.
"Die geopolitischen Spannungen und die protektionistische Handelspolitik der USA verschärfen die ohnehin angespannte wirtschaftliche Lage in Deutschland", sagte Torsten Schmidt, Konjunkturchef des RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. "Zusätzlich sehen sich deutsche Unternehmen einem verstärkten internationalen Wettbewerb ausgesetzt - vor allem aus China. Nicht zuletzt lasten strukturelle Schwächen wie der Fachkräftemangel und hohe bürokratische Hürden auf den Wachstumskräften."
Bundestag und Bundesrat haben die Finanzverfassung geändert, um öffentliche Verschuldungsspielräume zu schaffen - für Verteidigung, Klimaschutz und Infrastruktur. Unklar ist jedoch, wie die erweiterten Ausgabespielräume des Staates genutzt werden. Die Institute erwarten, dass in diesem Jahr kaum zusätzliche Mittel für Verteidigung und Investitionen abgerufen werden. Allerdings würden voraussichtlich Konsolidierungsschritte unterbleiben, die ohne die Änderung der Finanzverfassung erforderlich gewesen wären.
Für das kommende Jahr rechnen die Institute mit Mehrausgaben in Höhe von rund 24 Milliarden Euro verbunden mit einem Expansionsimpuls von etwa 0,5 Prozentpunkten für das Bruttoinlandsprodukt. Von Mehrausgaben für Verteidigung und Infrastruktur profitierten eher kleine Wirtschaftsbereiche. Da diese bereits gut ausgelastet seien, könnten die Preise dort weiter steigen.
Die US-Zölle auf Aluminium-, Stahl- und Kfz-Importe dürften den Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr und im kommenden Jahr um jeweils 0,1 Prozentpunkte verringern. Die weitergehenden Zölle, die am 2. April angekündigt wurden, könnten die negativen Effekte verdoppeln. Die konkreten Auswirkungen seien jedoch schwer zu quantifizieren, da im derzeitigen globalisierten Wirtschaftsgefüge Zollsätze noch nie so stark angehoben wurden.
Die Lage auf dem Arbeitsmarkt hat sich spürbar verschlechtert. Seit Mitte 2022 stieg die Zahl der Arbeitslosen um 20 Prozent. Das entspricht mehr als 400.000 Personen. Damit nahm die Arbeitslosenquote von 5,0 Prozent auf 6,3 Prozent zu. Der Abbau von Arbeitsplätzen findet vor allem im Verarbeitenden Gewerbe, dem Baugewerbe und den Unternehmensdienstleistern statt. Gleichzeitig legt die Beschäftigung im öffentlichen Dienst, in der Erziehung und im Gesundheitsbereich weiter zu. Für die kommenden Monate gehen die Institute davon aus, dass die Arbeitslosigkeit zunehmen wird. Erst wenn sich die wirtschaftliche Situation im Verlauf des Jahres 2026 verbessere, sei wieder von einer sinkenden Arbeitslosigkeit auszugehen.
Die Phase der Leitzinssenkungen dürfte demnächst zu Ende gehen. In den USA gefährdeten die höheren Zölle die Preisstabilität. Im Euroraum lasse eine expansivere Finanzpolitik die Kapitalmarktzinsen steigen, sodass der Leitzins mit 2,5 Prozent nicht mehr weit von seinem neutralen Niveau entfernt sei. Werde das fiskalische Regelwerk im Euroraum gelockert, würden die Kapitalmärkte als "Kontrollinstanz für nachhaltige Staatsfinanzen" wichtiger.
Deutschland leide nicht nur unter einer Konjunkturschwäche, sondern habe vor allem Strukturprobleme. Diese ließen sich nicht durch eine bloße Erhöhung der Staatsausgaben lösen und machten "potenzialstärkende Reformen" umso dringlicher. So brauche etwa das Sozialsystem Anpassungen an den demografischen Wandel, damit die Lohnnebenkosten nicht weiter stiegen.
Quelle: dts Nachrichtenagentur