30 Jahre nach Seveso - Sicherheitsstandards von Industrieanlagen weiter unzureichend
Archivmeldung vom 10.07.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Chemieunfalls in Seveso die Sicherheitsstandards für Industrieanlagen kritisiert. Nach dem verheerenden Unglück in Italien seien zwar die gesetzlichen Vorgaben erweitert worden, allerdings gäbe es erhebliche Vollzugs- und Informationsdefizite.
Die Behörden seien personell noch immer
nicht in der Lage, die große Anzahl der Anlagen wirksam zu
kontrollieren. Anwohner würden über Risiken und ihr Verhalten bei
Notfällen zu wenig aufgeklärt. Inakzeptabel sei auch, dass der
Öffentlichkeit aufgrund angeblicher Sicherheitsbedenken die Einsicht
in die Liste der gefährlichen Betriebe verwehrt werde. Zudem seien
die europäischen Sicherheitsstandards für die meisten Anlagen in
Deutschland nicht anwendbar, da sie nur für Betriebe mit sehr hohen
Produktionsmengen von gefährlichen Chemikalien gelten würden.
Am 10.7.1976 wurde in der Ortschaft Seveso aus einem Reaktor des
Chemikalienherstellers ICMESA hochgiftiges Dioxin freigesetzt, in
dessen Folge Mensch und Umwelt weiträumig verseucht wurden.
Angelika Horster, BUND-Chemieexpertin und Vertreterin der
Umweltverbände in der Nationalen Kommission für Anlagensicherheit:
"Immer wieder heißt es bei Unfällen in Industrieanlagen, es gebe
keine Gefahr für die Nachbarschaft. Wer genaue Informationen über die
in den Betrieben hergestellten Chemikalien bekommen will, muss ein
langwieriges Antragsverfahren durchlaufen. Selbst bei Freisetzungen
oder Bränden werden Stoffinformationen ganz oder teilweise
zurückgehalten. Oft weiß dann nicht einmal die Feuerwehr, was da
brennt oder freigesetzt wurde."
So habe es beispielsweise im Mai dieses Jahres in der Shell-AG in
Köln einen Chemieunfall gegeben, in dessen Folge sich eine Wolke von
gesundheitsschädlichem Mercaptan gebildet hatte. Shell behauptete
kurz nach dem Unfall, bei den entwichenen Chemikalien handele es sich
nicht um gefährliche Substanzen. Die Wolke führte jedoch bei Schülern
im 30 Kilometer entfernten Lohmar zu starken Beschwerden, so dass
diese im Krankenhaus behandelt werden mussten.
Ein gravierendes Problem für den vorsorgenden Schutz vor
gefährlichen Chemikalien stelle zudem der Mangel an Daten über
Zehntausende von in der EU hergestellten Substanzen dar. Diese Lücke
müsse dringend durch die europäische Chemikalienreform REACH
(Registrierung, Evaluierung, Autorisierung von Chemikalien)
geschlossen werden. Der derzeitige Gesetzentwurf verlange jedoch auch
künftig von den Herstellern keine ausreichenden Informationen über
Eigenschaften und Verwendung dieser Chemikalien. Der BUND forderte
die deutschen EU-Abgeordneten auf, den Entwurf nachzubessern.
Quelle: Pressemitteilung BUND