Studenten als "Versuchskaninchen" für Antidepressiva
Archivmeldung vom 23.05.2008
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Freigeschaltet durch Oliver RandakDer Verdienst ist hoch - das Risiko allerdings auch: Immer mehr Studenten nehmen an Medikamententests teil. So können sie in kurzer Zeit ihr Budget kräftig aufbessern. Nebenwirkungen sind durchaus möglich.
35 Tage lang hat sich der 29-jährige Berliner in ein Krankenhausbett gelegt, um ein Antidepressivum zu testen. Der Lohn: 6000 Euro. Ein anderes Mal nahm er als Proband an Tests für ein Schlafmittel teil und bekam 3500 Euro. Studien mit einem Medikament für HIV-Positive und zweiwöchige Versuche mit einem Appetitzügler brachten weitere 3300 Euro.
"Da laufen unheimlich viele Studenten rum, die dort ihre Haus- oder Diplomarbeiten schreiben, man hat ja sonst während des mehrwöchigen Aufenthalts nichts zu tun", sagt der Sozialarbeit-Student, der anonym bleiben will.
In Zeiten knapper Kassen und immer weniger Zeit für klassische Nebenjobs wie Kellnern und Taxifahren sind Blutspenden und das Verdingen als medizinische Probanden unter Studenten immer stärker gefragt. Von den zehntausenden Probanden in Deutschland sind laut einer Schätzung des Internet-Portals "probanden-studien.de" etwa 60 Prozent Studenten. "Je nach Aufwand und Länge der Studie werden 150 bis 250 Euro pro Tag bei einem stationären Aufenthalt gezahlt", heißt es dort.
"Ich hatte bisher keine Nebenwirkungen", berichtet der 29-jährige Student. Bei der Antidepressiva-Studie hätten aber Mittester über ein "Stromschlag-artiges" Stechen im Kopf geklagt. Beim Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der Uni Köln wird darauf verwiesen, dass es auch "schwarze Schafe" bei den Anbietern solcher Studien gibt.
Die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge hat das Zeitbudget der angehenden Akademiker in Deutschland schmelzen lassen. Der "Spiegel" spricht von der neuen "Turbo-Uni". Vollgestopfte Lehrpläne, Studiengebühren von bis zu 500 Euro und teure Mieten machen Probanden-Jobs attraktiv, sagen Studentenvertreter aus den Sozialreferaten.
Laut der jüngsten Sozialerhebung des Hochschulinformationssystems (HIS) sank die Zahl der Studenten, die neben dem Studium jobben - von 66 Prozent 2003 auf 63 Prozent 2006. Die wöchentliche Arbeitszeit verringerte sich auf 9 Stunden. Pro Stunde verdienen Studenten im Schnitt 9 Euro - ein Bruchteil dessen, was sich mit medizinischen Studien reinholen lässt.
Neben Studien mit stationärem Aufenthalt nehmen Studenten auch an Ernährungstests für Diäten teil, die bis zu 60 Euro bringen. Aber auch in der Blutspendezentrale der Uniklinik Köln ist es morgens rappelvoll, Studenten blättern in ihren Seminarunterlagen. Für einmal Blut abzapfen bekommen sie 25 Euro. "Die Zahl der Studenten, die Blut spenden, ist sehr hoch", heißt es.
Studenten seien wegen ihrer zeitlichen Flexibilität besonders gefragt, schreibt "probanden-studien.de". An der Berliner Charité und beim Pharmakonzern Bayer Schering wird darauf verwiesen, dass Beruf und sozialer Hintergrund bei Probanden nicht abgefragt werden.
Aber junge Menschen seien für die Studien, die von einer Woche bis zu zwei Jahren - zum Beispiel bei Impfstoffen - dauern können, interessant. An den schwarzen Brettern der Unis locken Zettel mit dem Hinweis auf gute Bezahlung zum Testen von Pillen und Pharmaka. Risiken werden offensichtlich in Kauf genommen.
Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn gehen pro Jahr etwa 1200 Anträge für klinische Prüfungen ein - nur knapp 2 Prozent werden als zu gefährlich abgelehnt. "Jede Studie muss nach EU-Recht von einer Ethikkommission bewertet und von einer Behörde genehmigt werden", sagt Thomas Sudhop vom BfArM. "Das Risiko wird - so weit es abzusehen ist - möglichst stark minimiert."