Schmiergeldaffäre bei Siemens weitet sich aus
Archivmeldung vom 20.08.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Schmiergeldaffäre bei Siemens könnte noch größere Ausmaße annehmen als bisher bekannt, berichtet das ZDF-Wirtschaftsmagazin WISO am Montag, 20. August 2007, 19.25 Uhr. Die Staatsanwaltschaft Liechtenstein ermittelt nach ZDF-Informationen wegen dubioser Zahlungen der Kraftwerkssparte.
"In Liechtenstein ist
seit 2006 eine Strafuntersuchung gegen einen ägyptischen
Staatsangehörigen und unbekannte Täter wegen des Verdachtes der
Geldwäsche im Zusammenhang mit Zahlungen in der Höhe von rund 190
Millionen Euro anhängig, die von der Siemens-Kraftwerkssparte über
Liechtenstein abgewickelt wurden", teilte der leitende Staatsanwalt
Robert Wallner dem ZDF-Wirtschaftsmagazin WISO mit. Die
Staatsanwaltschaft habe umfangreiche Unterlagen beschlagnahmt, die
derzeit ausgewertet würden.
Zuvor hatte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtet, die
190 Millionen Euro seien laut Konzerndokumenten zwischen 1997 und
1999 über drei Konten geflossen. Offenbar sollte die Herkunft des
Siemens-Geldes verschleiert werden. Die Antikorruptionsabteilung der
Kraftwerkssparte hatte bereits 2005 eine Anwaltskanzlei beauftragt,
fragwürdige Zahlungen zu untersuchen. Auch die internen Ermittler
sind offenbar auf das Liechtensteiner Konto gestoßen. In seinem
jüngsten Quartalsbericht hatte Siemens geschrieben, man habe einen
"deutlichen Zahlungsumfang" identifiziert, für den "nur begrenzte
Dokumentation" verfügbar sei. Das Geld sei über ein "Bankkonto in
Liechtenstein" abgewickelt worden.
Wofür dieses Geld verwendet worden ist, bleibt unklar. Sicher
scheint aber: Der Siemens-Schmiergeldskandal hat eine neue Dimension
erreicht. In dem Quartalsbericht deutet der Konzern selbst an, dass
das Volumen der fragwürdigen Zahlungen weit höher ist, als bisher
angenommen. Und nicht nur die Telekommunikationssparte ist betroffen,
wo die Affäre begonnen hatte. Mittlerweile durchsucht Siemens fünf
weitere Unternehmensbereiche: Energieverteilung, Bahntechnik,
Industrietechnik, Medizingeräte und Kraftwerksbau.
Auf ein System von schwarzen Kassen und Tarnkonten der
Kraftwerkssparte waren auch die Staatsanwälte aus Darmstadt bei ihren
Ermittlungen gestoßen. Im Korruptionsprozess vor dem dortigen
Landgericht waren im Mai zwei frühere Siemens-Manager wegen
Bestechung zu Freiheitsstrafen auf Bewährung verurteilt worden. Sie
hatten in Italien sechs Millionen Euro Schmiergeld gezahlt und
Siemens so einen lukrativen Auftrag vom italienischen Energiekonzern
Enel verschafft. Es ging um Gasturbinen im Wert von 338 Millionen
Euro. Der Darmstädter Richter Rainer Buss stellte damals fest, in der
Sparte Kraftwerksbau habe ein "bestechungsfreundliches Klima"
geherrscht.
Und das war offenbar kein Einzelfall. Auch in der
Telekommunionssparte hat Siemens Geld über schwarze Kassen
geschleust. Im italienischen Bozen ist der leitende Oberstaatsanwalt
Cuno Tarfusser seit Jahren dem System aus Tarnkonten und
Briefkastenfirmen auf der Spur. Er ist der Fährte des Schwarzgeldes
gefolgt - über die Karibik quer durch Europa bis er auf ein Konto in
Innsbruck stieß. "Das Konto konnten wir dann im Laufe der
Ermittlungstätigkeiten mit Sicherheit Siemens zuordnen. Wir wussten
auch, dass dieses Konto ein Schwarzkonto war. Das heißt, dass
Schwarzgelder von Siemens durch dieses Konto geflossen sind", sagte
Tarfusser dem ZDF.
Mit Millionenbeträgen von diesem Konto hat der Weltkonzern auch
nachgeholfen, um in den Neunzigern in den italienischen Telefonmarkt
einzusteigen. Siemens zahlte zehn Millionen Mark an einen dubiosen
Telefon-Manager, der zu dem Zeitpunkt bereits wegen Korruption
vorbestraft war. "Seine Aufgabe war es, für Siemens den Weg zum
Einstieg in das italienische Kommunikationssystem zu öffnen. Und das
hat auch etwas gebracht", sagte Tarfusser. Siemens bekam 1995 den
Zuschlag und erwarb einen 40-Prozent-Anteil an der privatisierten
italienischen Telekom-Tochter "Italtel".
Über all diese Ermittlungen lässt sich die amerikanische
Börsenaufsicht, die SEC, regelmäßig unterrichten. Denn an die
strengen Regeln auf dem New Yorker Parkett muss sich auch Siemens als
dort notiertes Unternehmen halten. Im schlimmsten Fall drohten
Geldbußen in Milliardenhöhe, sagte Professor Christoph Kaserer von
der Technischen Universität München dem ZDF. Die Korruptionsaffäre
könne beträchtliche Konsequenzen für den Konzern haben - vor allem
weil das amerikanische Kapitalmarktrecht wesentlich härtere
Sanktionen kenne: "Siemens wird es heute bereuen, dass man 2001 an
die amerikanische Börse gegangen ist. Hätte man damals diesen Schritt
nicht gemacht, wäre heute das Leben für Siemens wesentlich
einfacher."
Der neue Siemens-Chef, Peter Löscher, will in der Korruptionsaffäre, die ihm seine Vorgänger hinterlassen haben, hart durchgreifen. Noch ist ein Ende der immer neuen Enthüllungen im Schmiergeldskandal nicht absehbar.
Quelle: Pressemitteilung ZDF