Gesundheitsexperte Professor Peter Sawicki greift Pharmaindustrie an
Archivmeldung vom 16.08.2006
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Freigeschaltet durch Jens BrehlProfessor Peter Sawicki, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), hat in einem stern-Streitgespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (VFA), Andreas Barner, die Pharmaindustrie massiv angegriffen.
Sawicki wirft den Konzernen vor,
neue, teurere Arzneimittel auf den Markt zu bringen, ohne den
Zusatznutzen dieser Präparate zu belegen.
"Im letzten Jahr sind insgesamt 19 neue Substanzen zugelassen worden.
Davon sind nur vier oder fünf richtige Neuentwicklungen", sagte
Sawicki im stern. "Wenn ein Pharmakonzern aber ein Medikament auf den
Markt bringt und mehr Geld dafür haben will als für das bisher
Übliche, müsste er doch belegen, dass man für die Patienten einen
Fortschritt produziert hat. Und das ist für sehr viele Präparate, die
2005 zugelassen wurden, nicht der Fall."
Sawicki kritisierte zudem, dass Barner als Chef des Pharmaverbands
nicht klar zu aktuellen Korruptionsfällen Stellung nehme, etwa
Berichten, wonach die Firma Roche ihre Pharmareferenten in Polen
ausbilde, Ärzte zu bestechen. Barner hielt dagegen, dass er den Fall
nicht kenne, aber glaube, "dass sich die Pharmaindustrie ganz stark
gewandelt hat". IQWiG-Chef Sawicki warf Barner hingegen vor, "immer
nur ein ganz negatives Gefühl gegenüber der pharmazeutischen
Industrie" zu hegen.
Die von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein jüngst
herausgegebene Liste von 88 Medikamenten, die Ärzte nicht mehr
verordnen sollen, weil es sich um Scheininnovationen handle,
kritisierte Pharmachef Barner heftig: "Wenn es zu einem
Originalpräparat ein günstiges Generikum gibt, dann weiß es der Arzt
in der Regel. Dazu braucht es keine Verbotslisten. Solche Listen
schränken die Wahlfreiheit des Arztes ein." 15 Pharmaunternehmen
klagen mittlerweile gegen diese Liste.
IQWiG-Chef Peter Sawicki betonte dagegen, dass jeder Arzt "per Gesetz
verpflichtet ist, wirtschaftlich zu verordnen". Allerdings trage das
unseriöse Pharma-Marketing mit Schuld an den hohen
Arzneimittelausgaben in Deutschland. Sawicki im stern: "Die
Informationen, die die Pharmareferenten bei Ärzten hinterlassen, sind
zu mehr als 90 Prozent nicht durch Studien belegt. Sie sind einseitig
und unvollständig, im schlimmsten Fall sind sie schlicht falsch."
Quelle: Pressemitteilung stern