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Die hohe Inflation spaltet die Gesellschaft

Archivmeldung vom 12.07.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 12.07.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Oliver Randak

Es ist zunächst eine nüchterne Zahl: Vier Prozent beträgt derzeit die Inflation in der Euro-Zone. Doch die belastet die Menschen unterschiedlich stark, wie eine exklusive Analyse des Statistikexperten Wolfgang Brachinger zeigt. Arme Haushalte trifft die Geldentwertung mit voller Härte, Wege aus der Preisfalle gibt es kaum.

Am meisten ärgern sich die Deutschen derzeit an der Tankstelle. Mit Preisen von über 1,50 Euro für den Liter Benzin ist Auto fahren so teuer wie noch nie – und das ausgerechnet zum Start der Urlaubssaison. Auch beim Einkauf bekommen die Bundesbürger täglich zu spüren, wie teuer alles geworden ist. Eine Inflationsrate von 3,3 Prozent weist das Statistische Bundesamt für Deutschland aus, so viel wie seit fast 15 Jahren nicht mehr.

Und doch ist das nur die eine Seite der Wahrheit. Denn gefühlt liegt die Teuerung für die meisten Bürger sogar noch weit über dem Wert, den die offizielle Statistik meldet. Ein Gefühl, das alles andere als trügerisch ist, wie Statistikprofessor Hans Wolfgang Brachinger von der Universität Fribourg belegt. Exklusiv für WELT ONLINE hat er ausgerechnet, wie es tatsächlich um die Inflationsbelastung der Deutschen bestellt ist. Das Ergebnis zeigt: Nicht nur die Höhe der Teuerung ist besorgniserregend. Viel schlimmer ist, dass die Geldentwertung ausgerechnet die Geringverdiener über Gebühr belastet.

Die hohe Inflation ist damit nicht nur ein gefährlicher Gegner für Zentralbanker und längst nicht nur ein kostspieliges Ärgernis für Verbraucher. Sondern sie entwickelt sich zu einem Phänomen, das die Gesellschaft zusehends spaltet.


Ein „Umverteilungsprogramm zu Lasten der Schwächsten in der Gesellschaft“, nennt das der Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), Thomas Straubhaar. Auf der einen Seite stehen dabei jene, die trotz der Preiserhöhungen unterm Strich ganz gut davonkommen. Und auf der anderen jene, die der Preisschock mit voller Härte trifft. „Es ist frappierend, wie stark die Inflationsschere zwischen armen und reichen Haushalten in Deutschland auseinander läuft. Das birgt großen sozialpolitischen Sprengsatz“, sagt Brachinger.


Am schlimmsten betroffen vom Preisschock sind seinen Berechnungen zufolge alle Haushaltsgruppen mit einem monatlichen Nettoeinkommen von weniger als 1700 Euro. Das betrifft immerhin ein Drittel aller deutschen Haushalte. Sie haben mit einer Inflationsrate von gewaltigen 5,4 Prozent zu kämpfen – das liegt fast zwei Drittel über dem Wert, den das Statistische Bundesamt für Deutschland ausweist. Auch die Bezieher mittlerer Einkommen leiden mit einer Teuerungsrate von 4,5 Prozent deutlich stärker unter den hohen Preisen, als es die amtliche Statistik vermuten lasst. Gut kommen lediglich die Topverdiener davon. Ihre Inflationsbelastung beträgt nur 2,4 Prozent und damit ganze drei Prozentpunkte niedriger als die Inflationslast, die die Ärmsten im Land schultern müssen. „Die Ergebnisse zeigen, wie sehr die hohe Teuerung schon jetzt die Gesellschaft spaltet“, sagt Brachinger.


Zu erklären ist die unterschiedliche Inflationsbelastung dadurch, dass gerade Geringverdiener einen deutlich größeren Anteil ihres Budgets für Produkte ausgeben müssen, die oft gekauft werden. Brot, Butter, Benzin – all das ist kräftig im Preis gestiegen. Diese sogenannten kaufhäufigen Güter haben sich allein in den vergangenen zwölf Monaten um über sechs Prozent verteuert. „Besonders Familien mit niedrigem Einkommen und mehreren Kindern bleibt angesichts der Preisspirale nach oben gar nichts anderes übrig, als ihr gesamtes Geld für die teure Lebenshaltung auszugeben“, sagt der Fribourger Forscher. „Ihr finanzieller Spielraum wird dadurch immer kleiner, zumal der Verdacht nahe liegt, dass selbst die Lohnerhöhungen in diesem Bereich deutlich schneller von der Inflation zunichte gemacht werden.“

Zwar hat es in den vergangenen Monaten auch Preissenkungen gegeben. Viele technische Geräte wie Computer oder Fernseher sind billiger geworden. Doch diese Produkte werden selten gekauft. Haushalte, die fast alles für den täglichen Konsum ausgeben müssen, profitieren davon nicht. „Solange dieses Inflationsmuster anhält, wird die hohe Geldentwertung weiter spaltend wirken“, warnt Brachinger.


Zumal die Ärmeren in der Gesellschaft der rasanten Teuerung kaum entrinnen können. Zwar lässt sich die ein oder andere Autofahrt durch öffentliche Verkehrsmittel ersetzen. Auch die Urlaubsreise kann verkürzt werden oder ganz entfallen. Für die teurere Milch oder die kostspieligeren Heizkosten aber gibt es keinen Ersatz. Und vermutlich so schnell auch keine Entlastung: „Die Zeit der niedrigen Preise bei Öl und Energie ist endgültig vorbei. Die Gesellschaft wird sich darauf einstellen müssen“, warnt der renommierte Forscher.

Düstere Aussichten, auch für die Währungshüter, die gegen die steigenden Preise bei Energie und Lebensmitteln wenig ausrichten können. Kürzlich hat sich der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, von Brachinger das Phänomen der unterschiedlichen Inflationsbelastung ganz genau erklären lassen. Gut möglich, dass die Zentralbank, dieses Problem vor Augen, ihren Kampf gegen die hohe Teuerung demnächst also sogar noch mit weiteren Zinserhöhungen verstärkt.



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