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Drohen jetzt auch Engpässe am internationalen Kraftwerkskohlenmarkt?

Archivmeldung vom 24.05.2006

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 24.05.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

In der Debatte über die Zukunft der Steinkohle wurde in den letzten Jahren behauptet, dass die hiesigen Steinkohlenkraftwerke in Zukunft problemlos auch mit billigerer Importkohle befeuert werden könnten. Solche Ansichten werden zuweilen ungeprüft übernommen.

So begründen Vertreter der Regierungskoalition in NRW und "Experten" des Wirtschaftsforschungsinstituts RWI ihre Forderung nach einem mittelfristigen Auslaufbergbau mit dieser These. Haltbare Belege liefern sie jedoch nicht. Dass in der Vergangenheit der rückläufige Versorgungsbeitrag deutscher Steinkohle relativ störungsfrei durch Importkohle und andere Importenergien ersetzt werden konnte, bedeutet keinesfalls, dass dies auch in Zukunft und bei 100%-iger Importabhängigkeit gilt. Tatsächlich drohen (auch) am internationalen Kraftwerkskohlenmarkt in den nächsten Jahren erhebliche Engpässe, wie eine fundierte aktuelle Prognose in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift für Energiewirtschaft (ZfE) zeigt. Ein Mix aus Importkohle und heimischer Steinkohle blei bt deshalb im Steinkohlensektor unerlässlich.

Die politischen und ökonomischen Risiken insbesondere von Erdgasimporten, die in Deutschland schon über 80% der Erdgasversorgung ausmachen - davon gut 40% allein aus Russland -, werden gegenwärtig breit diskutiert, weil hier in jüngster Zeit massive Preissteigerungen wie auch Lieferstörungen aufgetreten sind. Die kaum verhohlenen Drohungen des russischen Erdgasexportmonopolisten Gasprom gegenüber der EU haben ein Übriges getan.

Bei den Kohlenimporten werden solche Risiken bisher kaum wahrgenommen, geschweige denn diskutiert, weil die Kohleversorgung unter Einschluss der noch beträchtlichen heimischen Förderung bisher gut funktioniert hat. Kurzfristige Lieferstörungen, wie es sie auch bei der Importkohle gelegentlich gab, konnten durch das "Backing" mit heimischer Steinkohle stets ausgeglichen werden. Die Kraftwerkskohlenverbraucher in Deutschland haben durch die Möglichkeit, ihren Grundbedarf durch heimische Steinkohle zu decken und Importkohle vom Spotmarkt zu kaufen, sogar eine besonders günstige Position. Aber auch die internationalen Kohlemärkte sind nicht frei von politischen und ökonomischen Risiken, die sich um so stärker auswirken können, je größer die Importabhängigkeit ist. (Bei der Steinkohle liegt sie in Deutschland derzeit bei gut 60%.) Die geopolitischen Risiken bei der Kohle sind allerdings eher latenter und längerfristiger Natur. So sind wichtige Kohleexportländer wie Kolumbien, Indonesien oder Südafrika keineswegs Musterbeispiele für politische Stabilität. Russland mit seiner zunehmend als "Energieimperialismus" bezeichneten Energieexportpolitik gewinnt wie bei Erdgas und Erdöl auch bei der Kohleversorgung Europas (und speziell Deutschlands) immer mehr an Gewicht. Drei Viertel der Kraftwerkskohlenimporte in die EU stammen ohnehin nur aus den vorgenannten vier Exportländern.

Deshalb wird das Thema eindeutig verfehlt, wenn von einigen "Experten" Australien als Exporteur hervorgehoben wird. Australien ist zwar das größte Kohleexportland der Welt (u.a. mit zwei Drittel der weltweiten Kokskohlenexporte ), doch es beliefert vorwiegend den pazifischen Markt. Weniger als 10% der deutschen Steinkohlenimporte kommen von dort. Australien gehört auch nicht zu den Ländern mit den größten Kohlereserven. Diese sind entgegen landläufigen Darstellungen geografisch hochkonzentriert: Insgesamt entfallen über zwei Drittel der weltweiten Kohlereserven ebenfalls auf nur vier Länder, nämlich die Super- und Großmächte USA, China, Indien und Russland.

Internationale politische Krisen, Konflikte oder gar Kriege würden jedenfalls auch den internationalen Kohlehandel nicht verschonen, zumal dieser in den meisten Exportländern staatlichem Einfluss unterliegt. Daneben gibt es ökonomische Risiken, die inzwischen offener zutage getreten sind. Im Kokskohlensektor gab es in den Vorjahren bereits Verknappungen und Preisexplosionen, durch die auch Kokskohle und Koks aus deutscher Produktion vorübergehend wieder in den Bereich der Wettbewerbsfähigkeit gerückt ist. Zwar hat sich die Lage auf den internationalen Kokskohlenmärkten gegenwärtig wieder etwas entspannt, auch wenn Europas Abhängigkeit von nur wenigen Kokskohlenlieferanten bestehen bleibt. Doch jetzt zeichnen sich Engpässe auf den umfänglicheren internationalen Kraftwerkskohlenmärkten ab.

Dies ist neben anderen internationalen Publikationen dem Bericht Angebot und Nachfrage am Steinkohleweltmarkt 2006 zu entnehmen, der in der jüngsten Ausgabe der ZfE enthalten ist. Der angesprochene Beitrag führt eine seit Jahren etablierte, in Fachkreisen wohlbekannte und national und international hoch geschätzte Berichts- und Prognosereihe fort, die auf einer umfassenden Datenbank der mengenmäßigen Entwicklungen an den internationalen Kohlemärkten beruht. Diese Analyse ist im Frühjahr 2006 zu sehr bedenklichen Schlussfolgerungen gekommen: Auf den internationalen Kraftwerkskohlenmärkten werde in den nächsten Jahren "das Angebot mit der steigenden Nachfrage kaum Schritt halten können. Es wird aus heutiger Sicht zu einer neuerlichen Angebotsverknappung mit einhergehenden Preissteigerungen kommen." Diese besorgniserregende Einschätzung beruht auf folgenden wesentlichen Befunden: Die Exportsteinkohlegruben arbeiten weltweit seit Jahren mit hoher Auslastung. Eine leichte Entspanunng im Vorjahr dürfte "nur von kurzer Dauer sein", weil das nach gegenwärtigem Stand der Investitionen in neue Gruben und Kapazitätserweiterungen nur verhalten wachsende Angebot durch die trendmäßig wesentlich schneller steigende Nachfrage in den nächsten Jahren verstärkt ausgelastet und "bereits in 2008 vollständig aufgezehrt werden" wird. "Die Angebotskapazitäten werden demnach in 2008 zu 100% ausgelastet sein und die bequeme Lücke zwischen Angebot und Nachfrage der zurückliegenden Jahre würde sich in Nichts auflösen."

Absehbar sei daher auf den internationalen Kraftwerkskohlenmärkten eine "prekäre Lage", die einen erneuten Anstieg der Weltmarktpreise nach sich ziehen dürfte und voraussichtlich auch Engpässe im internationalen Handel hervorruft. "Aus heutiger Sicht kann der Markt die spannungsfreie Versorgung des zukünftigen Marktes nicht gewährleisten".

Diese Entwicklung muss nicht zwangsläufig eintreten, sofern die Exportproduzenten unverzüglich Investitionsentscheidungen zum Ausbau ihrer Kapazitäten treffen oder die globale Kohlenachfrage demnächst einbricht. Doch zeichnet sich bisher weder das eine noch das andere ab. Fakt ist auch: Die Kohlenachfrage am Weltmarkt ist in den letzten 25 Jahren im Durchschnitt sogar erheblich stärker gestiegen als jeweils erwartet. Es wird in jedem Fall deutlich, dass künftig erhebliche Versorgungsrisiken bei Kraftwerkskohlenimporten bestehen. Deswegen haben sich nach den vorliegenden Erkenntnissen "die Ausichten auf einen ausgewogenen Verlauf des Kesselkohlenhandels weiter verschlechtert."

Nicht thematisiert, aber sicherlich nicht übersehen worden ist bei dieser Aussage, dass beispielsweise ein neuer Kohleboom in den USA - für den es einige Anzeichen gibt - einen ähnlichen Staubsaugereffekt auf die internationalen Kraftwerkskohlenmärkte ausüben wird wie das der Nachfragesog aus China in den letzten Jahren bei Kokskohle und Koks bewirkt hat. Und weder in China noch in Indien ist die sogenannte "zweite industrielle Revolution" schon beendet - sie steht dort erst am Anfang. China wird nach Einschätzung etwa von Peter Coates, dem Vorstandschef des großen internationalen Kohleunternehmens Xstrata, langfristig trotz der großen eigenen Vorräte der bedeutendste Importeur auch von Kraftwerkskohlen (mit einem potenziellen Importbedarf von bis zu 250 Mio. t/Jahr). Ähnliches gilt für Indien, das ebenfalls zusätzlich importieren wird.

Das Fazit ist eindeutig: Für die Versorgungssicherheit nicht nur der deutschen Steinkohlenkraftwerke ist eine vorsorgende Kohlepolitik weiter nötig. Dafür bleibt ein solider Sockel heimischer Steinkohle im Mix mit der Importkohle zwingend erforderlich.

Quelle: Pressemitteilung Gesamtverband des deutschen Steinkohlenbergbaus

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