Wirtschaftskrise: Großbritannien droht Pleite
Archivmeldung vom 21.01.2009
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Freigeschaltet durch Oliver RandakGroßbritanniens Bankenlandschaft steht trotz wiederholter Rettungspakete vor der totalen Verstaatlichung. Allein die britische Währung beschreibt die wirtschaftliche Lage, das englische Pfund marschiert von einem Tiefpunkt zum nächsten.
Ausnahmezustand in Großbritannien: Die Anleger fürchten um die Kreditwürdigkeit des Landes. Bankaktien und das britische Pfund waren am Mittwoch im freien Fall. Der Grund: Die Sorgen wachsen, dass das Land nach der Hypothekenbank Northern Rock weitere Banken verstaatlichen muss - und deshalb seine Top-Bonitätsnote verliert.
Die Kursreaktionen sind dramatisch: Am Mittwoch fiel das Pfund gegenüber dem Yen auf ein Rekordtief, gegenüber dem Dollar stürzte es auf das tiefste Niveau seit 2001 ab. Allein in den vergangenen zwei Tagen verlor das Pfund sechs Prozent zum Yen, 4,9 Prozent zum Dollar und 3,4 Prozent zum Euro. Ein Pfund kostet 1,06 Euro. An der Börse brachen die Aktien britischer Banken ein. Barclays-Papiere verloren in der Spitze mehr als 27 Prozent, am Mittag lag das Minus bei 21 Prozent. Seit dem 12. Januar verlor die Aktie rund 74 Prozent.
Die Marktreaktion spiegelt die Ängste der Anleger wider. Sie zweifeln daran, dass das am Montag vorgestellte zweite Rettungspaket für die Banken ausreicht. Im Wesentlichen beruht das Paket von Schatzkanzler Alistair Darling auf einer staatlichen Absicherung für die Banken gegen drohende Kreditausfälle, einem Wertpapieraufkaufprogramm der Notenbank und einem Aufstocken der staatlichen Beteiligung an der Royal Bank of Scotland (RBS).
Einflussreiche Politiker fordern mehr. Labour-Abgeordneter John McFall, Vorsitzender des Haushaltsausschusses des britischen Unterhauses, spricht sich für eine Verstaatlichung aus - von RBS und Lloyds Banking Group. "Wenn das geschehen sollte, dann je schneller, desto besser. Wir müssen das schnell hinter uns bringen", schrieb McFall in einem am Mittwoch erschienenen Beitrag für die Financial Times. Die Erfolgswahrscheinlichkeit des zweiten Rettungspakets sei gering, so McFall. Der Parlamentarier ging in seinem Kommentar aber auch auf Nachteile ein - und erwähnte dabei auch die Gefahr einer Ratingherabstufung Großbritanniens.
Weitere Verstaatlichungen würden die Staatsfinanzen Londons verschärft belasten. Europäische Investoren sind in Alarmstimmung: Nachdem Standard & Poor's (S&P) die Bonitätsnote von Spanien und Griechenland herabstufte, kursieren Spekulationen über weitere Länder, denen das drohen könnte. Trevor Cullinan, Analyst bei S&P, bekräftigte, dass das Rating von Grobritannien direkte Kapitalbeteiligungen des Staates an Banken in Höhe von 83 Mrd. Pfund verkraften könnte - die bisherige Unterstützung von 37 Mrd. Pfund bereits eingerechnet.
Willem Buiter, Ökonom an der London School of Economics und ehemaliger Mitarbeiter der britischen Notenbank, sieht bereits Parallelen zu Island. Die Insel im Nordatlantik verstaatlichte das Bankensystem und musste durch internationale Hilfen vor der Zahlungsunfähigkeit bewahrt werden. "Die Exzesse in Island während des vergangenen Jahrzehnts waren größer, aber rein qualitativ unterscheiden sie sich von den britischen nicht", schreibt Buiter auf seiner Internetseite. Die Bilanzsumme aller Banken belaufe sich im Falle Großbritanniens auf 440 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). "Die Regierung ist auf dem Weg dazu, all das zu garantieren. Dabei reizt der Staat seinen finanziellen Spielraum aus", so Buiter. Eine Schuldenkrise sei nicht ausgeschlossen.
Die Bank of England (BoE) versucht, den Abwärtstrend zu stoppen. Dazu senkte sie den Leitzins auf 1,5 Prozent. Das ist der tiefste Stand seit Gründung der BoE im Jahr 1694. Zudem erhielt sie von der Regierung neue Aufgaben. Vom 2. Februar an soll sie für bis zu 50 Mrd. Pfund Wertpapiere des Privatsektors aufkaufen. "Das wird ein wichtiges zusätzliches Instrument sein, um die Finanzierungsbedingungen in der Wirtschaft zu verbessern", sagte Notenbankchef Mervyn King.
Es ist wahrscheinlich, dass die BoE ihren Lockerungskurs fortsetzen wird. Dafür spricht das Protokoll der vergangenen Zinssitzung, das am Mittwoch veröffentlicht wurde. Demnach sprachen sich acht Mitglieder des geldpolitischen Ausschusses für eine Zinssenkung um 50 Basispunkte aus, Gouverneur David Branchflower befürwortete sogar einen Schritt um einen vollen Prozentpunkt. "Wir gehen davon aus, dass die BoE die Leitzinsen bis März 2009 um weitere 100 Basispunkte auf dann 0,5 Prozent senkt. Die Wahrscheinlichkeit für eine quantitative Lockerung ist aber nach der erneuten Verschärfung der Finanzkrise in der vergangenen Woche im Vereinigten Königreich gestiegen", urteilten die Volkswirte der Deka-Bank.
Großbritannien befindet sich in einer schweren wirtschaftlichen Krise. Der Ernst & Young Item Club, die Researchabteilung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young, sagt voraus, dass die Wirtschaft der Insel dieses Jahr um 2,7 Prozent schrumpfen wird. Am 23. Januar stehen die Zahlen für das Wachstum des BIP im vierten Quartal an. Volkswirte rechnen durchschnittlich mit einem auf das Jahr hochgerechneten Minus von 1,2 Prozent.
Mit der wirtschaftlichen Dynamik geht auch die Inflation zurück. Das belegen die Verbraucherpreise, die am Dienstag veröffentlicht wurden. Demnach ging die Teuerung im Dezember im Monatsvergleich um 0,4 Prozent zurück. Auf das Jahr hochgerechnet legten die Inflation bei 3,1 Prozent, das ist der tiefste Stand seit 1997. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr hatte der Wert bei 4,1 Prozent gelegen. "In den nächsten Monaten werden die Verbraucherpreise weiter zurückgehen. Das wird der Notenbank weitere Zinssenkungen ermöglichen", sagte Trevor Williams, Chefvolkswirt bei Lloyds TSB.