Bekleidungshandel trotz Weihnachtsgeschäft in schwerer Krise
Archivmeldung vom 10.12.2018
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Freigeschaltet durch André OttKonkurrenz aus dem Netz und veränderte Kundenwünsche sind zur lebensbedrohlichen Herausforderung für Modefirmen geworden. "Während der Einzelhandel in Deutschland insgesamt wächst und von der guten konjunkturellen Lage im Land profitiert, erleben wir beim Bekleidungssegment eine Reihe von Insolvenzen und Restrukturierungen", sagt Dr. Mirko Warschun, Handelsexperte und Partner bei der Unternehmensberatung A.T.Kearney .
Kearney weiter: "Insbesondere Modehändler, die nicht ausreichend intensiv in das Online-Geschäft eingestiegen sind und die veränderten Kundenanforderungen der neuen Generationen und den zunehmendem Wettbewerb nicht adressieren, haben mit massiven Schwierigkeiten zu kämpfen."
Die Handels- und Restrukturierungsexperten von A.T. Kearney haben den Bekleidungshandel in Deutschland mit Blick auf Online, neue Kundenbedürfnisse, allgemeine Konjunktur und Konsumentwicklungen untersucht. Die Ergebnisse veröffentlichen sie als erste Ausgabe der neuen Reihe "Pulsschlag Einzelhandel", die Status quo und Trends einzelner Handelssegmente einem "quick check" unterzieht. Die lang anhaltende gute Konjunktur in Deutschland bedeutet für den Handel: wachsende private Einkommen bei gleichbleibender Sparquote und ein jährliches Umsatzwachstum von 3,2 Prozent. Die Flächenproduktivität wächst mit: um 2,9 Prozent pro Jahr, ebenso das Eigenkapital um jährlich 4,5 Prozent. Die Zahl der jährlichen Insolvenzen ist um minus 8,2 Prozent rückläufig. Von diesen Entwicklungen profitieren laut A.T. Kearney aber nicht alle Marktteilnehmer und -segmente. Seit den 90er Jahren geben Konsumenten immer weniger ihres Einkommens für Lebensmittel und Bekleidung aus, mehr hingegen für Gesundheit, Sport und Freizeit. So ist der Anteil für Bekleidung und Schuhe an den jährlichen Konsumausgaben von 5,8 Prozent in 1994 auf 4,8 Prozent in 2018 zurückgegangen. Hinzu kommt: Ohne Online ist der Bekleidungshandel seit 2012 jährlich um 0,4 Prozent geschrumpft.
A.T. Kearney führt diese Krise auf zwei Faktoren zurück: Zum einen haben viele Player des Bekleidungshandels es verpasst, online mitzuspielen. Zehn Prozent des Handelsumsatzes werden mittlerweile online abgewickelt und reine Online-Händler wie Amazon, Zalando oder Asos bauen ihre Marktanteile massiv aus. Zweitens haben sich die Präferenzen der Kunden verschoben: Die Markentreue ist gesunken, die Kunden definieren sich weniger über Besitz als über Aktivitäten und Erfahrungen, wovon am meisten die Sportartikel mit 8,8 Prozent Wachstum pro Jahr profitieren.
"Wichtige Umsatzanteile haben sich ins Internet verschoben, wobei hier vor allem die reinen Online-Händler das Geschäft machen", erklärt Fahd Hajji, Co-Autor der Studie: "Von 2003 bis heute ist der reine Onlinehandel um 17 Prozent gewachsen, der Bekleidungshandel im Internet dagegen nur um zwölf Prozent."
Die Autoren sehen besonders das mittlere Preissegment unter Druck. "Die Polarisierung zwischen Niedrig- und Hoch-Preissegmente verschärft sich weiter. Wachstum erleben wir im Preiseinstieg und bei sogenannter 'Fast Fashion' wie auch im Luxus-Marken-Segment. In der Mitte wachsen nur die Kosten, nicht aber die Umsätze", kommentiert Warschun mit Verweis auf eine lange Liste von prominenten deutschen Modeeinzelhändler, wie Bench, Roeckl, René Lezard und Gardeur, die Schlagzeilen mit Zahlungsschwierigkeiten machen. "Für die Zukunft muss der Bekleidungshandel mit weiteren Insolvenzen rechnen", kommentiert Co-Autor Nils Kuhlwein, Partner und Restrukturierungsexperte bei A.T. Kearney die Befunde: "Viele sind finanziell sehr fragil aufgestellt: steigende Zinsen oder ein zu warmer, trockener Sommer reichen oftmals aus, um die Bekleidungsfirmen in finanzielle Notsituationen zu manövrieren. Das Weihnachtsgeschäft schafft hier kurze Erleichterung, verdeckt aber nur für einen kurzen Moment die tiefe Krise."
Quelle: A.T. Kearney (ots)