Erfolgshungrig, innovativ, unterschätzt: Neue Wettbewerber aus Schwellenländern drängen auf den europäischen Markt
Archivmeldung vom 26.05.2006
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Freigeschaltet durch Jens BrehlDer chinesische Haushaltsgerätehersteller Haier oder der indische IT-Dienstleister Infosys sind mittlerweile ein Begriff. Hingegen dürften nur wenige Hisense aus China kennen, den Marktführer bei Flachbildschirmen in Frankreich, den Autozulieferer Nemak aus Mexiko, Ägyptens führende Telefonfirma Orascom Telecom oder den brasilianischen Kompressorenhersteller Embraco.
Diese Unternehmen
stehen exemplarisch für eine Vielzahl aufstrebender Wettbewerber aus
China, Indien, Brasilien, Mexiko oder Russland, die aus nationaler
Stärke heraus nun zum Sprung auf den Weltmarkt ansetzen. "100 New
Global Challengers" stellt die Unternehmensberatung The Boston
Consulting Group (BCG) erstmals in einer Studie vor. Die 100
Internationalisierungspioniere aus Niedrigkostenländern sind von 2000
bis 2004 durchschnittlich um 24 % gewachsen und erzielen fast ein
Drittel ihres Umsatzes im Ausland. In Deutschland müssen sich
insbesondere Unternehmen aus den Branchen Automobil, Maschinenbau und
Chemie auf neue Wettbewerber einstellen.
Aus über 3.000 Unternehmen aus zwölf Schwellenländern hat BCG die
100 New Global Challengers ausgewählt, die einen Mindestumsatz von 1
Mrd. US-Dollar erzielen, davon mindestens 10 Prozent im Ausland. Auch
einige Unternehmen mit weniger Umsatz, aber einer besonders
innovativen Geschäfts- oder Globalisierungsstrategie wurden in die
Liste aufgenommen. Der Großteil der 100 New Global Challengers ist
asiatischer Herkunft: 44 der Unternehmen kommen aus China, 21 aus
Indien. 18 Firmen nennen Brasilien oder Mexiko ihre wirtschaftliche
Heimat, die Übrigen stammen aus Ägypten, Russland und der Türkei. Die
neuen Konkurrenten agieren in fast allen Industriezweigen, besonders
aktiv sind sie in den Branchen Automobil, Maschinenbau,
Konsumgüterelektronik und Energie/Rohstoffe.
Wirtschaftlich stark
Die Wirtschaftsleistung der 100 New Global Challengers ist bereits
heute beeindruckend: Sie beschäftigen 4,6 Mio. Mitarbeiter und
setzten im Jahr 2004 715 Mrd. US-Dollar um. Bis 2010 werden sie nach
BCG-Schätzung rund 40 % ihres Umsatzes im Ausland erzielen (2004:
28 %). Sie erreichen Umsatzrenditen von bis zu 20 % - Dax-Firmen
liegen derzeit bei durchschnittlich 9 %. Ihre Aktienrendite (Total
Shareholder Return) von Januar 2000 bis März 2006 betrug 150 %,
während diejenige der 500 S&P-Unternehmen im selben Zeitraum bei
minus 7 % lag. Ihr Investitionsvolumen ist beträchtlich, ihre
Einkaufsmacht geballt: 2004 investierten sie 110 Mrd. US-Dollar und
gaben 9 Mrd. US-Dollar für Forschung und Entwicklung aus; sie kauften
Rohstoffe und Energie für 200 Mrd., Bauteile für 50 Mrd. und
Dienstleistungen für 40 Mrd. US-Dollar.
Expansion aus starken Heimatmärkten
"Die Globalisierung gewinnt eine neue Dimension. Deutsche
Unternehmen sehen sich verstärkt im eigenen Land mit neuen
Wettbewerbern aus Niedrigkostenländern konfrontiert", erklärt Dr.
Josef Rick, Geschäftsführer bei BCG. Diese sind seiner Meinung nach
nicht zu unterschätzen: Sie profitieren von niedrigen Kosten,
produzieren profitabel im Niedrigpreissegment und haben
erfolgshungrige Mitarbeiter. Sie wissen mit instabilen Logistik- und
Vertriebswegen ebenso umzugehen wie mit laufend neuen staatlichen
Regulierungen. Ihre Expansionskraft ziehen sie aus einer
Führungsposition in großen, geschützten Heimatmärkten, die eine hohe
Kapazitätsauslastung und stabile Einnahmequellen garantieren und
dadurch erst risikoreichere Investitionen in anderen Ländern
ermöglichen. Zugleich warnt Rick davor, die neuen Herausforderer nur
als Bedrohung wahrzunehmen: "Sie sind ja immer auch mögliche Kunden,
Zulieferer, strategische Investoren oder Geschäftspartner."
Multinationale Konzerne noch die Ausnahme
Auch wenn alle der 100 New Global Challengers bereits
internationale Geschäftsaktivitäten aufgebaut haben, so schwankt der
Grad der Globalisierung doch stark. Nur eine kleine Gruppe von zehn
Firmen - darunter der mexikanische Zementhersteller Cemex, der
brasilianische Kompressorenfabrikant Embraco oder der chinesische
Motorenproduzent Johnson Electric - sind bereits heute multinationale
Konzerne. Hingegen hat der Großteil der neuen Wettbewerber (46)
gerade erst begonnen, die globale Expansion voranzutreiben - wenn
auch mit hohem Tempo und ehrgeizigen Zielen: Haier, Infosys, der
indische Autozulieferer Bharat Forge oder der türkische
Hausgerätehersteller Koç sind bekannte Beispiele. Andere agieren noch
weithin unbemerkt wie etwa der Pianofabrikant Pearl River (China),
das türkische Elektronikunternehmen Vestel Group oder der
Autozulieferer Nemak aus Mexiko. Fast ebenso groß ist die Gruppe
jener Unternehmen, die zunächst auf regionale Expansion setzt (44).
Dazu zählen der ägyptische Telekommunikationsanbieter Orascom oder
das Chemieunternehmen Braskem aus Brasilien.
Bei der Globalisierung ihres Geschäfts gehen die 100 New Global
Challengers unterschiedlich vor. Einige Unternehmen versuchen neue
Märkte für ihre bestehenden Marken und Produkte zu erschließen oder
als Nischenanbieter zur Weltspitze aufzuschließen; andere nutzen die
steigende Zahl von Ingenieuren in China oder Indien, um nach einer
Phase des Imitierens eigene High-Tech-Innovationen hervorzubringen.
Eine weitere Gruppe expandiert geographisch, um sich langfristigen
Zugang zu Rohstoffbasen zu sichern.
Künftig mehr Akquisitionen
Bisher setzen 80 % der Herausforderer bei der internationalen
Expansion auf Wachstum aus eigener Kraft, kleinere Akquisitionen im
Ausland blieben die Ausnahme. "Auch wenn der Schwerpunkt weiterhin
auf organischem Wachstum liegen wird, werden wir künftig mehr Zukäufe
sehen. Die aufstrebenden Unternehmen aus den Emerging Markets kaufen
sich starke Marken, Patente oder ein Vertriebsnetz", verdeutlicht
Rick. "Umgekehrt finden die westlichen Unternehmen in ihnen
zahlungskräftige Käufer für Geschäftsbereiche, von denen sie sich
trennen möchten."
Deutsche Unternehmen sollten mögliche Konkurrenten aus den Emerging Markets frühzeitig auf ihren Radarschirm holen: Welche Strategien verfolgen sie, was sind ihre Stärken und Schwächen? Wo greifen sie an? Abwehrstrategien können sehr unterschiedlich ausfallen: Eine gezielter Angriff im Heimatmarkt der Herausforderer oder eigene Akquisitionen können ebenso sinnvoll sein wie eine strategische Partnerschaft.
Quelle: Pressemitteilung The Boston Consulting Group