Chemiebranche leidet unter Korruption und Datenklau
Archivmeldung vom 20.07.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 20.07.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Jens BrehlJedes Jahr erleidet die Chemieindustrie Millionenverluste durch wirtschaftskriminelle Handlungen. Mehr als ein Drittel (37 Prozent) der Chemieunternehmen war in den Jahren 2003 und 2004 weltweit mehrfach Opfer von Unterschlagung, Betrug und Fälschung. Im Durchschnitt verzeichnete jedes Unternehmen acht Vorfälle, die jeweils einen Schaden von fast 600 000 US-Dollar verursachten.
Die
Täter kamen zu 73 Prozent aus den eigenen Reihen. Dies sind die
Ergebnisse der jüngsten Analyse des Wirtschaftsprüfungs- und
Beratungsunternehmens PricewaterhouseCoopers (PwC) "Global economic
crime survey 2005 - Chemicals industry". Zur Wirtschaftskriminalität
innerhalb der Chemiebranche wurden 168 Unternehmen in 30 Ländern
befragt.
Sensible Firmendaten sickern gegen Bargeld durch
Die Zahl der Chemie-Unternehmen, die über Fälle von
Wirtschaftskriminalität berichteten, ist im Vergleich zum
Untersuchungszeitraum 2001 / 2002 um drei Prozent von 40 auf 37
Prozent gesunken. Gleichzeitig haben sich die Delikte Korruption und
Bestechung im selben Zeitraum aber mehr als verdoppelt - von 13
Prozent auf 28 Prozent. In Westeuropa ist zudem die Zahl der
Fälschung von Firmendaten wie Produktionsmethoden oder Formeln mit 39
Prozent mehr als doppelt so hoch als anderswo.
Für Volker Fitzner, Partner bei PwC im Bereich Chemicals & Pharma, kommt dieses Ergebnis nicht unerwartet: "In der Vergangenheit gingen viele Führungskräfte in Chemieunternehmen davon aus, dass es in ihrer Firma keine wirtschaftskriminellen Handlungen geben kann. Doch sie lagen häufig nicht richtig. Inzwischen zeichnet sich ein kultureller Wandel ab. Die Führungskräfte haben erkannt, wie real die Bedrohung durch Unterschlagung, Betrug und Fälschung ist und wie stark diese die Finanzsituation, Wettbewerbsvorteile, die Mitarbeitermoral sowie die Beziehungen zu Lieferanten gefährden.
Unterschlagung steht dagegen bei den Befragten mit 60 Prozent an
erster Stelle der genannten Betrugsdelikte. Typisch sind Auszahlungen
an nicht vorhandene Mitarbeiter, fiktive Verkäufe, überhöhte
Rechnungen, unberechtigte Überstunden- und Spesenabrechnungen und der
Verkauf von Forschungsdaten. Selten geht es um den Diebstahl von
materiellen Gütern, denn in der sensiblen Chemiebranche dreht sich
alles um geistiges Eigentum und um Wettbewerbsvorteile.
Fast drei Viertel der Täter stammen aus den eigenen Reihen
Die meisten Führungskräfte konzentrieren sich beim Bemessen des
Schadens auf rein materielle Aspekte, ergab die PwC-Analyse. Nur zehn
Prozent beziffern den immateriellen Schaden als hoch, 65 Prozent
schätzen, dass gar kein Schaden wie Verlust des Wettbewerbsvorteils
oder gesunkene Mitarbeitermoral entstanden sei.
Nahezu ein Drittel der Betrugsfälle wird nicht einmal außerhalb
der Unternehmen bekannt. Denn 73 Prozent der Täter stammen aus den
eigenen Reihen: 16 Prozent aus dem Top-Management, 44 Prozent aus der
mittleren Führungsebene. Branchenübergreifend kommt lediglich die
Hälfte der Täter aus dem Unternehmen selbst.
Mitarbeiter trauen sich nicht, Vergehen zu berichten
Erstmals hat PwC die Motive der Beteiligten analysieren können:
Mangelndes Unrechtsbewusstsein, die Zusammenarbeit mit Externen,
unzureichende interne Kontrollen und die damit leicht gemachte
Versuchung, die Tat zu begehen, sind die vier Faktoren, die die
Befragten am häufigsten bei den Tätern ausmachten.
Rund 45 Prozent der befragten Chemieunternehmen wollen deshalb ihre internen Kontrollen in den nächsten zwei Jahren verbessern. Bislang werden 43 Prozent der Betrugsfälle nur durch Zufall entdeckt, 26 Prozent durch interne Prüfer. Das so genannte Whistle-blowing, das zumeist anonyme Berichten von Vorgängen oder Fehlverhalten wurde nicht ein einziges Mal als Mittel zum Aufspüren von Betrugsfällen erwähnt. "Es genügt nicht, die technische Einrichtung zu schaffen. Die Mitarbeiter müssen sich dieser Einrichtung bewusst sein und sie im Bedarfsfall auch ohne Zögern nutzen", so Fitzner.
Für die Zukunft sind die Chemie-Unternehmen zuversichtlich - aus
Sicht von Claudia Nestler, Partnerin bei PwC und Leiterin des
Bereiches Forensic Services, wiegen sie sich jedoch in falscher
Sicherheit. "Nur 17 Prozent nehmen an, dass ihr Unternehmen
wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich in den kommenden fünf Jahren
Einbußen durch Wirtschaftskriminalität hinnehmen muss", sagt Nestler.
Demgegenüber steht die Tatsache von rund 37 Prozent der Unternehmen,
die unter Wirtschaftskriminalität leiden.
"Die Chemie-Unternehmen haben verstärkt ihre internen Kontrollen und Verhaltenscodices für ihre Mitarbeiter entwickelt, aber viele Unternehmen müssen noch mehr konkrete Betrugsprävention betreiben - so etwas wie ein umfassendes Bewusstseinstraining gegen Betrug", fordert Nestler auf.
Quelle: Pressemitteilung PricewaterhouseCoopers AG