Gewerkschaft ver.di und Betriebsräte erheben schwere Vorwürfe gegen Hennes & Mauritz
Archivmeldung vom 21.03.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 21.03.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie schwedische Modekette Hennes & Mauritz setzt in Deutschland Mitarbeiter und Betriebsräte massiv unter Druck. Das haben Recherchen des ZDF-Magazins "Frontal 21" ergeben. Betriebsräte berichten unter anderem, dass sie Gespräche mit Mitarbeitern regelmäßig und lückenlos gegenüber der Geschäftsführung dokumentieren müssten.
Ihnen drohten sonst Lohnkürzungen. "Konkret muss man sich
das so vorstellen, dass Betriebsräte ihren ganzen Tagesablauf
aufschreiben müssen: Sämtliche Telefonate mit Kollegen, sämtliche
Besprechungen, Länge und Dauer der Sitzungen", berichtete eine
Betroffene. Sie will, wie alle befragten Kollegen, aus Angst vor
einer Kündigung anonym bleiben.
Auch Hilfe suchende Mitarbeiter werden eingeschüchtert. Wer zum
Betriebsrat will, müsse sich bei einem Vorgesetzten ab- und wieder
anmelden. "Das heißt, die Mitarbeiter trauen sich dann kaum noch zu
uns", sagte eine Arbeitnehmer-Vertreterin gegenüber "Frontal
21". "Das ist eine Riesenschweinerei, es geht absolut gegen das
Betriebsverfassungsgesetz."
Auch Malene Volkers von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
bezeichnete die Arbeitsbedingungen bei H&M als "menschenverachtend"
und "unsozial". Ein Klima der Angst herrsche in vielen Filialen.
Besonderer Druck werde in Einzelgesprächen auf kranke Mitarbeiter
ausgeübt. "Dann kann es passieren, dass man da sehr wohl über
Stunden bearbeitet wird: Warum bist du krank, wann gedenkst du
wieder zu kommen? Bist du einsatzfähig, bist du verfügbar?",
berichtete Volkers und sprach von Zermürbungstaktik.
Das Unternehmen wies die Vorwürfe zurück: "Wir pflegen eine sehr
vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unserem Gesamtbetriebsrat und den
einzelnen Betriebsräten", heißt es in einem Schreiben an "Frontal
21".
Die Kritik an den Arbeitsbedingungen bei H&M bestätigt auch eine
Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Darin heißt es: "Die Untersuchung
ergab, dass sowohl von Behinderungen als auch von einer
systematischen Diskriminierung gegenüber Interessenvertretern
gesprochen werden kann". Nach Erkenntnissen des Soziologen Heiner
Köhnen, Verfasser der Studie, widerspricht das System der
Mitbestimmung der Unternehmensphilosophie der Textilkette: "H&M hat
eine starke Firmenkultur, starke Idee von Firmengemeinschaft, von
Familiengemeinschaft, und jeder, der dazu nicht passt, soll
eigentlich raus, wird zum Störfaktor", sagte Köhnen.
Die Rechte der Arbeitnehmer bei H&M seien in vielen Fällen
bereits stark geschwächt. "H&M hat eine sehr hohe Anzahl von
flexiblen Beschäftigungsverhältnissen, und deswegen kann man sie
direkt als ein Vorreiter für prekäre Arbeitsverhältnisse
beschreiben", erklärte Köhnen gegenüber "Frontal 21". Rund 50 Prozent
der Beschäftigten seien Mitarbeiter mit flexiblen Arbeitszeiten. H&M
arbeite auch mit Stundenlöhnern, die vertraglich weder eine bestimmte
Stundenanzahl noch einen bestimmten Lohn am Ende des Monats
zugesichert bekommen. "Sie werden kurzfristig, oft einen Tag vorher
oder auch am selben Tag angefragt."
Quelle: Pressemitteilung ZDF