Bundesgerichtshof bestätigt Günstigkeitsprinzip und Kostenkontrolle bei der Kalkulation von Netznutzungsentgelten
Archivmeldung vom 28.12.2005
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Betreiber der deutschen Stromnetze müssen sich auf Rückforderungen in Millionenhöhe einstellen. Dies ist die Konsequenz aus der aktuell vom Bundesgerichtshof vorgelegten Urteilsbegründung im Verfahren LichtBlick gegen den Versorger MVV Energie AG.
"Die Urteilsbegründung
des BGH entspricht nach über fünf jährigem Kampf für faire
Wettbewerbsbedingungen endlich unseren Erwartungen.", so der
Geschäftsführer von LichtBlick, Heiko von Tschischwitz. "Es handelt
sich um ein richtungsweisendes Grundsatzurteil, das es uns erlaubt,
die in den vergangenen Jahren zu viel gezahlten Netzentgelte von
allen Netzbetreibern zurückzufordern."
Die Entgelte für die Nutzung der Stromnetze wurden bisher
einseitig von den Netzmonopolisten festgelegt und konnten nicht
überprüft werden, da dem Netznutzer - also einem Händler wie
LichtBlick - die preisbestimmenden Faktoren nicht bekannt waren. Der
BGH hat nun entschieden, dass der Netzbetreiber gegenüber dem
Netznutzer die volle Darlegungs- und Beweislast hat und dass die
Netzentgelte nach den Prinzipien einer möglichst preisgünstigen
Stromversorgung (sog. "Günstigkeitsprinzip" gemäß
Energiewirtschaftsgesetz) kalkuliert werden müssen. Außerdem müsse
sichergestellt werden, dass die Entgelte einen wirksamen Wettbewerb
im Strommarkt gewährleisten und dass der Netzmonopolist aus
kartellrechtlicher Sicht seine marktbeherrschende Stellung durch die
Forderung überhöhter Entgelte nicht missbrauche.
Der von den Netzbetreibern in der Vergangenheit immer wieder
geäußerte Hinweis auf Einhaltung der Kalkulationsregeln der
sogenannten Verbändevereinbarungen sei dabei kein geeigneter
Nachweis. Ebenso könne sich kein Netzbetreiber auf erfolgte
Preisgenehmigungen nach Bundestarifordnung Elektrizität berufen. Der
Verweis auf eine "gute fachliche Praxis" trage ebenfalls nicht, da
die vom Gesetzgeber bei Einhaltung der Kalkulationsregeln der
Verbändevereinbarungen vermutete "gute fachliche Praxis" erstens
zeitlich auf acht Monate begrenzt sei und zweitens durch die Gerichte
zuvor festgestellt werden müsse, ob die Kalkulationsregeln der
Verbändevereinbarungen sowohl in ihren einzelnen Bestandteilen als
auch in ihrer Gesamtheit wirksamen Wettbewerb überhaupt sicherstellen
können, so der BGH in seiner fünfzehn-seitigen Urteilsbegründung.
Die Urteile der Vorinstanzen waren in mehrfacher Hinsicht von
Rechtsfehlern beeinflusst. Der Bundesgerichtshof hat aus diesem Grund
der Vorinstanz umfangreiche Vorgaben gemacht, auf deren Basis nun
entschieden werden muss, in welchem Ausmaß die Netzentgelte der MVV
Energie AG als überhöht anzusehen sind. Die MVV Energie AG hat sich -
genauso wie alle anderen 900 Stromnetzbetreiber in Deutschland auch -
immer auf die Kalkulationsregeln der Verbändevereinbarungen berufen.
Nach Expertenmeinung zahlen die deutschen Stromkunden mindestens 5
Milliarden Euro pro Jahr zu viel für die Stromnetze. In die
Netzentgelte fließen nach den Kalkulationsregeln der
Verbändevereinbarungen immer Tagesneuwerte, also die Kosten, ein, die
entstehen würden, wenn die Netze heute neu errichtet werden würden.
Die Stromausfälle im Münsterland haben offenbart, dass die
Infrastruktur der deutschen Netze zum Teil noch aus den
Vorkriegsjahren stammt und zudem wegen offenbar bewusst vertagter
Investitionsentscheidungen in Teilen sogar akut einsturzgefährdet
ist.
Die Netzentgelte, die bis zu 40 Prozent des Strompreises
ausmachen, entscheiden maßgeblich darüber, ob und in wie weit
Wettbewerber konkurrenzfähige Angebote am Markt platzieren können.
Überhöhte Netzentgelte gelten als Hauptgrund für den fast vollständig
zum Erliegen gekommenen Wettbewerb im Strommarkt. In den
Missbrauchsverfahren des Bundeskartellamtes wurde beispielsweise
aufgedeckt, dass Stromversorgungsunternehmen 85 Prozent ihrer
gesamten Personalkosten dem Netzbetrieb zugerechnet haben und selbst
Kosten für Kundenvertrieb und Sportsponsoring auf die Netzentgelte
aufgeschlagen wurden.
Nach dem neuen Energiewirtschaftsgesetz obliegt es jetzt den
Regulierungsbehörden, angemessene Netzentgelte für den Strom- und
Gasmarkt festzulegen. Mit den ersten Genehmigungen für die
Netzentgelte Strom wird im Mai nächsten Jahres gerechnet. Die jetzt
vorgelegte Urteilsbegründung verpflichtet auch die
Regulierungsbehörden, sich in ihrem Ermessensspielräumen jeweils an
den Grundsätzen der Billigkeit und Preisgünstigkeit sowie der
Förderung von Wettbewerb zu orientieren.
LichtBlick versorgt bei einer Energieabgabe von 1,3 Milliarden
Kilowattstunden bundesweit derzeit über 180.000 Privatkunden und eine
Vielzahl von Sondervertragskunden, darunter z.B. alle 2.000
Ampelanlagen Berlins, und ist damit der größte von der etablierten
Versorgungswirtschaft unabhängige Stromanbieter in Deutschland. In
Summe hat LichtBlick bisher rund 100 Millionen Euro für die Nutzung
der Stromnetze gezahlt.
Quelle: Pressemitteilung LichtBlick