Zornige Milchbauern rufen zu Aldi-Boykott auf
Archivmeldung vom 22.04.2008
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Freigeschaltet durch Oliver RandakDer Deutsche Bauernverband fordert Bauern und ihre Familien auf, nicht mehr bei Aldi einzukaufen. Der Discounter hat den Milchpreis gesenkt – andere Händler ziehen nach. Aufgebrachte Landwirte blockieren mit Kühen die Eingänge zu Supermärkten. Und die Milchbauern wollen ihre Lieferungen ganz stoppen.
Der Deutsche Bauernverband hat nach der Senkung der Milchpreise bei Aldi zu einem Boykott des Discounters aufgerufen. Präsident Gerd Sonnleitner forderte das Bundeskartellamt außerdem auf, die „zeitgleichen und in ihren Endabgabepreisen völlig identischen Milchaktionen von Aldi, Lidl und Rewe“ wegen des Verdachts einer Preisabsprache zu überprüfen.
Laut Sonnleitner fehlen jedem Bauern durch die Preissenkung je Liter um zwölf Cent etwa 7000 Euro an Einnahmen jährlich. „Das ist Raubtierkapitalismus“, sagte der Bauern-Präsident im ARD-Morgenmagazin. „Hier hat Aldi seine Marktmacht missbraucht zum Schaden der Bauern.“ Der Milchpreis bei Aldi gilt im Einzelhandel als Referenz: An diesem Preis orientieren sich auch die Wettbewerber.
„Diese Preissenkungen sind nicht durch die Angebots- und Nachfragesituation auf dem Markt begründet, sondern allein durch die extreme Marktmacht der wenigen Einkaufszentralen im Lebensmitteleinzelhandel gegenüber den Molkereien zu erklären“, hieß es in einer Erklärung des Verbands weiter.Vor zahlreichen Supermärkten in Bayern demonstrierten Bauern gegen die Preissenkungen bei Milchprodukten. In Rosenheim, Ingolstadt, Traunstein, Landsberg am Lech, Eichstätt und Pfaffenhofen zogen die Bauern mit Kühen vor die Supermärkte. „So kann's nicht weitergehen“, sagte ein Sprecher des Bayerischen Bauernverbands. Niedrige Preise seien für die Verbraucher zwar erfreulich, für die Milchbauern aber Existenz bedrohend.
Aldi hatte den Preis für einen Liter Vollmilch auf 61 Cent abgesenkt. Der Discounter Lidl und die Supermarkt-Kette Rewe folgten, Edeka kündigte ebenfalls Preisnachlässe für Milch an. Nach der Aldi-Preissenkung will der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter seinen geplanten Lieferstopp durchsetzen. Molkereien sollen dann keinen Tropfen Milch mehr erhalten. „Jetzt machen wir Ernst mit dem Boykott“, sagte Verbandssprecher Thorsten Sehm WELT ONLINE. Details über die Boykottpläne gegen die Molkereien wollte der Sprecher jedoch aus strategischen Gründen nicht preisgeben.88 Prozent der Mitglieder hatten laut dem Verband in einer Befragung für einen Lieferstopp gestimmt. Der Zorn der Milchbauern richtet sich dabei weniger gegen die Discounter. „Aldi kann nur billig verkaufen, wenn die Molkereien dem Unternehmen diesen Preis auch anbietet“, sagte Sehm. Laut dem Milchbauern-Verband bleiben bei einem Preis von 61 Cent je Liter Milch nicht einmal 40 Cent beim Bauern. In Verhandlungen mit den Molkereien hatten die Landwirte zuletzt 43 Cent gefordert, um ihre Kosten decken zu können. „Mittlerweile haben sich die Kosten für Betriebsmittel jedoch erhöht, so dass die Produktion noch einmal sieben Prozent teurer geworden ist“, berichtete der Verbandssprecher.Die Endverbraucher müssten einen höheren Anteil für die Bauern dem Verband zufolge nicht voll mitbezahlen. Dem Sprecher zufolge würde bei kostendeckenden Entgelten für die Landwirte der Ladenpreis um drei bis vier Cent je Liter Milch steigen. „Bei einem 250-Gramm-Joghurt sind es nur ein bis eineinhalb Cent“, sagte Sehm. „Der Rest ist Handelsspanne.“ Die Milchbauern rechnen laut Sehm mit weiterem Preisverfall, wenn jetzt niemand dagegen handele. Die spontanen Aktionen der Kollegen in Bayern nannte der Milchbauern-Sprecher jedoch „reinen Aktionismus“.Die Molkereien weisen die Vorwürfe der Milchbauern zurück. „So leid es uns für die Erzeuger tut: Wir können doch die Marktsituation nicht ausblenden“, sagte Michael Brandl, Sprecher des Milchindustrie-Verbands. Den Molkereien zufolge sorgt das Überangebot an Milch dafür, dass der Handel Spielraum beim Einkauf bekommen hat. Hintergrund: Viele Bauern hatten die Milchleistung ihrer Kühe laut den Statistiken 2007 erhöht – als die Milchpreise deutlich angestiegen waren.
Zugleich sehen sich die Weiterverabeiter in den Molkereien international unter Druck: Aufgrund des teueren Euro seien die hiesigen Preise auf dem in Dollar gerechneten Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig. „So müssen wir ausländische Märkte wie Russland wieder preisgeben“, erläuterte Brandl.