Steueroase Zossen: Scheinbüros fürs Finanzamt
Archivmeldung vom 20.05.2021
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićDie Stadt Zossen in Brandenburg nahe Berlin gilt wegen ihrer niedrigen Gewerbesteuer als eine "Steueroase". Doch wie Recherchen des ARD-Magazins "Panorama" (NDR) nun erstmals belegen, sind viele Firmen dort wohl auch nur zum Schein tätig, was den Verdacht der Steuerhinterziehung nahelegt.
Verdeckte Recherchen zeigen, dass viele Firmen ihren Firmensitz nur auf dem Papier in das deutsche Steuerparadies Zossen verlegen, also dort Briefkastenfirmen betreiben, und dass es an Kontrollen mangelt. Weit mehr als 2000 Firmen haben in der Kleinstadt ihren Firmensitz.
Ein "Panorama"-Team gab sich für die Recherchen als Unternehmen aus und wollte herausfinden: Wie einfach ist es, in Zossen eine "Briefkastenfirma" zu betreiben? Ein Vermieter, der in einem zweistöckigen Haus an einer abgelegenen Dorfstraße bei Zossen mehr als 200 Firmen untergebracht haben will, bietet dem Team auch "Bürodienstleistungen" an. Unter "Bürodienstleistungen" versteht er: Für ein paar Euro wird die Post einmal in der Woche an den eigentlichen Firmensitz weitergeschickt und das Telefon umgeleitet. Auch Belege, die eine Anwesenheit vor Ort beweisen, etwa Quittungen vom Bäcker oder der Tankstelle, könne er im Bedarfsfall bereitstellen. Diese "Bürodienstleistungen", so rät er, solle man gegenüber dem Finanzamt lieber verschweigen.
Für Henning Tappe, an der Universität Trier Professor für Öffentliches Recht, deutsches und internationales Finanz- und Steuerrecht, begründet dies den Verdacht der Steuerhinterziehung: "Wenn ich behaupte, ich hätte in Zossen eine Firmenadresse, ich würde dort tatsächlich geschäftlich tätig sein, bin es aber nicht, und gegenüber dem Finanzamt unrichtige Angaben mache - dann kann das Steuerhinterziehung sein." Entscheidend nach Steuerrecht ist, wo die tatsächliche Betriebstätte sei. Ein bloßer Briefkasten reiche nicht aus.
Auf den Briefkästen findet "Panorama" Namen großer Konzerne, darunter viele Investment- und Immobilienfirmen aus Berlin. Aber auch andere nutzen die günstige Gewerbesteuer der Kleinstadt.
Nach Aussagen mehrerer Büroanbieter hätten die Firmen durch das zuständige Finanzamt nichts zu befürchten. Die Prüfer wüssten, dass keiner in den Büros arbeite und was hier generell los sei. Das Finanzamt verweist auf Nachfrage ans Brandenburger Finanzministerium. Ministeriumssprecher Lutz Rensing sagt im "Panorama"-Interview: "Es ist die eine Sache, dass es Briefkastenfirmen gibt. Die andere Sache ist, wie man als Finanzamt damit umgeht. Und da haben wir uns hier die Entscheidungsabläufe angesehen und sind zum Ergebnis gekommen, dass da fehlerfrei gearbeitet wird."
Für Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit besteht hingegen ein strukturelles Problem: "Die lokal zuständigen Finanzämter haben oft überhaupt kein Interesse daran, gegen dieses Modell vorzugehen". Denn würden sie richtig prüfen, würde Zossen und damit auch Brandenburg vermutlich Gewerbesteuereinnahmen verlieren.
Die Bürgermeisterin von Zossen, Wiebke Schwarzweller, weist den Vorwurf zurück, ihre Stadt sei eine "Gewerbesteueroase" und betreibe "unfairen Wettbewerb". Das Thema sei "durchaus kompliziert", so ihr Pressesprecher Michael Roch, und Zossen habe den Gewerbesteuersatz bereits erhöht. Außerdem handle die Stadt "im Rahmen der Gesetze", so die Bürgermeisterin.
Bis vor kurzem musste ein Unternehmen in Zossen nur 7 Prozent Gewerbesteuer zahlen, das gesetzliche Minimum. Seit diesem Jahr sind es zwar knapp über 9 Prozent, doch auch das ist immer noch gut ein Drittel weniger als etwa im benachbarten Berlin, wo mehr als 14 Prozent fällig werden.
Der Gewerbesteuerexperte der Linken, Axel Troost, fordert deshalb eine Reform des Gewerbesteuergesetzes: "Weltweit bekämpft Deutschland Steueroasen, aber bei uns passiert genau das Gleiche, doch das kümmert den Finanzminister nicht. Das ist untragbar." Die Gewerbesteuerhebesätze müssten deutlich erhöht werden. Bundesfinanzminister Olaf Scholz sieht auf "Panorama"-Anfrage dagegen keinen Handlungsbedarf bei der Gewerbesteuer. Mit ihr könnten Kommunen im Wettbewerb Standortnachteile ausgleichen.
- "Panorama": Donnerstag, 20. Mai, 21.45 Uhr, Das Erste
Quelle: NDR / Das Erste (ots)