DIW befürchtet Destabilisierung des Finanzsystems
Archivmeldung vom 17.03.2022
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 17.03.2022 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Sanjo BabićDer Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht im Ukraine-Krieg eine Gefahr für das europäische Finanzsystem. "Russland wird versuchen, das westliche Finanzsystem zu destabilisieren - durch punktuelle Manipulation wie gezielten Hackerangriffen oder den 300 Milliarden Euro, die sie im Geldmarkt angelegt haben", sagte Marcel Fratzscher dem Focus.
Da
das Mandat der EZB die Preisstabilität sei, werde diese die Zinsen
jetzt kaum erhöhen können, so der Professor für Makroökonomie. "Der
Worst Case ist eine Eskalation des Kriegs und ein Stopp russischer Öl-
und Gaslieferungen", so Fratzscher. In der Folge würde das zu einer
Explosion der Energie- und Nahrungsmittelpreise führen und die Industrie
müsse teilweise ihre Produktion ein- und Mitarbeiter freistellen,
warnte der Ökonom. Im schlimmsten Fall lande man im Gesamtjahr in einer
Rezession, die Arbeitslosigkeit werde sich deutlich erhöhen.
"Auch
die Inflation steigt auf Werte zwischen sechs und zehn Prozent, was die
Bürger weiter enteignen würde", sagte Fratzscher. Er forderte eine
"temporäre Abschaffung der reduzierten Mehrwertsteuer von sieben auf
null Prozent". Das helfe allen Menschen bei der Grundversorgung,
einkommensschwächere Menschen profitieren besonders stark und auch die
Umsetzung gehe besonders schnell, dies habe man an der Senkung des
Jahres 2020 beobachten können. Eine Lohnerhöhung sei durch den Krieg und
die daraus resultierende Inflation nötig.
Man brauche
"ordentliche" Einmalzahlungen, welche für eine teilweise Kompensation,
aber nicht permanent deutlich höhere Löhne sorgten. Dabei sei "Augenmaß"
wichtig. "Erhöhungen von acht bis zehn Prozent würden eine Bremse
werden", sagte der Ökonom dem Focus. An der Mindestlohn-Erhöhung solle
aber festgehalten werden.
Das helfe gerade den
einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten, die von der Explosion der
Energie- und Nahrungsmittelpreise besonders stark betroffen seien.
Gerade werde zu viel Populismus betrieben und "zu wenig für die am
stärksten betroffenen Menschen getan", sagte der DIW-Präsident. "Die
entscheidende Stellschraube wird sein, wie lange der Krieg dauert."
Russland sei "von der Größe wirtschaftlich unwichtig", aber stelle
systemrelevante Dinge für den Weltmarkt her, beispielsweise als
Energie-Exporteur, bei Rohstoffen, bei Düngemittel oder Weizen.
Aber
auch die Ukraine liefere beispielsweise Xenongas, das für Halbleiter
benötigt werde. Probleme könnten bei einem Durchbruch der Lieferketten
entstehen, da Produkte nicht gefertigt werden können, "wenn auch nur ein
Prozent der Vorleistungen fehlen", so Fratzscher.
Quelle: dts Nachrichtenagentur