Ifo-Chef Sinn: 1929 waren die Juden die Sündenböcke, heute sind es die Manager
Archivmeldung vom 27.10.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 27.10.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIm Streit um die Schuld der Manager an der Finanzkrise hat der Münchener Ökonom Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts, die Wirtschaftsführer in Schutz genommen und die Kritik an ihnen mit dem Antisemitismus der dreißiger Jahre verglichen.
"In jeder Krise wird nach Schuldigen gesucht, nach Sündenböcken", sagte er dem "Tagesspiegel" (Montagausgabe). In der Weltwirtschaftskrise von 1929 "hat es in Deutschland die Juden getroffen, heute sind es die Manager". Niemand habe damals an einen "anonymen Systemfehler" glauben wollen, der die Krise ausgelöst habe, befand Sinn.
Zugleich bezeichnete er das 480-Milliarden-Euro-Rettungspaket für die Banken als richtig. Sonst hätte es wie 1929 "dramatische Folgen" gegeben. "Eine Kernschmelze im Finanzsystem, Massenarbeitslosigkeit, die Radikalisierung der Länder der westlichen Welt, am Ende eine Systemkrise der Marktwirtschaft. Die deutsche Geschichte ist hier ja ganz klar." Der Nationalsozialismus sei aus der Krise zwischen 1929 und 1931 entstanden. Auch heute stünden Rattenfänger wieder parat.
Sinn sprach sich dagegen aus, angesichts der Wirtschaftsschwäche schon jetzt ein Konjunkturprogramm aufzulegen. "Noch haben die Firmen gut zu tun." Wenn der Staat etwas tun wolle, dann bei den Steuern. "Die Steuerquote ist die höchste seit langem." Der Vorteil sei, dass die Bürger entscheiden könnten, was mit dem Geld geschehe.
Nach Sinns Einschätzung ist ein Ende der Finanzkrise noch nicht in Sicht. "Uns blüht noch einiges", urteilte er. Die nächsten Probleme bei Kreditkartenfirmen und Autobanken seien absehbar. "Die Krise wird uns noch eine Weile in Atem halten." Allerdings sei das Szenario aus dem Herbstgutachten, dass die Wirtschaft 2009 um 0,8 Prozent schrumpfen werde, mit dem Rettungspaket "weniger wahrscheinlich geworden".
Innenausschuss-Vorsitzender Edathy kritisiert ifo-Chef Sinn scharf
Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Sebastian Edathy (SPD), hat den Präsidenten des ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, wegen seiner Gleichstellung zwischen Antisemitismus und Kritik an Managern scharf kritisiert.
"Angesichts solcher Äußerungen hat man den Eindruck, Herr Sinn ist nicht bei Sinnen", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Montag-Ausgabe). "Antisemitische Äußerungen mit berechtigter Kritik an manchen Bankenvertretern zu verwechseln, ist ein starkes Stück. Bankmanager, die für Fehlleistungen verantwortlich sind, werden bekanntermaßen nicht wegen ihres religiösen Glaubens, sondern wegen ihres Handelns kritisiert." Der SPD-Wirtschaftsexperte Rainer Wend sagte dem "Kölner Stadt-Anzeiger": "Das ist Schwachsinn." Sinn hatte dem "Tagesspiegel" erklärt: "Auch in der Weltwirtschaftskrise von 1929 wollte niemand an einen anonymen Systemfehler glauben. Damals hat es in Deutschland die Juden getroffen, heute sind es die Manager."
Quelle: Der Tagesspiegel / Kölner Stadt-Anzeiger