Pro-Bono-Initiative "Händler helfen Händlern" legt offiziell Verfassungsbeschwerde gegen die "Bundesnotbremse" ein
Archivmeldung vom 31.05.2021
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićDie Pro-Bono-Initiative "Händler helfen Händlern" reicht heute Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen die Novelle des Infektionsschutzgesetzes, der sogenannten "bundeseinheitlichen Notbremse" ein.
Vertreten durch zehn Beschwerdeführer, darunter Handelsunternehmen wie Engelhorn, Ernsting's family, Rose Bikes, Tom Tailor sowie der Sportverbundgruppe INTERSPORT, hat die Initiative in Zusammenarbeit mit der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek und dem Verfassungsrechtler Prof. Dr. Josef Franz Lindner von der Universität Augsburg, die Anträge verfasst und gestellt.
Die Gruppe von Händlern in Deutschland greifen mit der Verfassungsbeschwerde im Wesentlichen den § 28b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 IfSG an. Hierbei handelt um die sog. "bundeseinheitliche Notbremse", in der geregelt wird, dass die Öffnung von Ladengeschäften und Märkten mit Kundenverkehr für Handelsangebote bei Überschreitung der Inzidenz von 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen untersagt ist. Die Beschwerdeführer sehen sich durch dieses Gesetz unmittelbar in ihren Grundrechten verletzt und berufen sich vorrangig auf eine Verletzung der Berufsfreiheit (Art. 12 I GG), eine Verletzung des Eigentumsrechts (Art. 14 GG) und eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 I GG).
"Der Schutz des Lebens und der Gesundheit des einzelnen hat oberste Priorität. Und die Gesundheit unserer Kunden und Mitarbeiter stellen wir über jede Öffnungsabsicht - ganz egal, wie hart auch die wirtschaftliche Situation im Handel gerade ist", erklärt Marcus Diekmann, Initiator von "Händler helfen Händlern" und CEO von Rose Bikes. "Aus diesem Grund haben wir auch von einem Eilantrag unserer Beschwerde abgesehen. Mit unserer Initiative wollen wir nicht in einen Topf geworfen werden mit den vielen anderen Eilanträgen aus dem Handelsumfeld, die allzu forsch auf Wiederöffnung geklagt haben. Wie im Vorfeld angekündigt ist unser Anliegen vielmehr auf die handwerklichen und damit inhaltlichen Fehler im Bundesgesetz hinzuweisen, die in Summe zur Verfassungswidrigkeit führen" ergänzt Alexander v. Preen, CEO der INTERSPORT Deutschland eG.
Im Vordergrund der Verfassungsbeschwerden stehen drei maßgebliche Einwände, welche die Händlergruppe adressiert: Verletzung der Berufsfreiheit, Verletzung des Eigentumsgrundrechts und Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes:
1. Die Händler-Initiative sieht sich gerade im Rahmen der Berufsfreiheit durch das Bundesgesetz stark eingeschränkt. Auch fehlt der Gruppe das Verständnis wie dem Ziel, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, mit dem Schließen des Einzelhandels Rechnung getragen werde. "In unseren Augen zielt dieses Gesetz in erster Linie darauf ab, Inzidenzwerte zu senken, die die Realität der pandemischen Lage nicht richtig abbildet. Studien des RKI belegen, dass ein etwaiges Ansteckungsrisiko durch die bestehenden Hygienekonzepte im Handel gering ist. Es ist also nicht davon auszugehen, dass durch die Öffnung des stationären Handels das Infektionsgeschehen stark zunehmen würde." 2. Gleiches gilt für den zweiten Einwand hinsichtlich des Eingriffs in das Eigentumsrecht. Dieses Grundrecht ist ebenfalls durch das Gesetz betroffen, da durch das Öffnungsverbot der Ladengeschäfte die Möglichkeit des Warenabsatzes beeinträchtigt und teilweise unmöglich gemacht wird. Hierdurch können erworbene Waren nicht verkauft werden und müssen später zum Teil mit starker Wertminderung verkauft oder sogar vernichtet werden "Zahlreiche Betriebe sind durch die Ladenschließungen in ihrer Existenz gefährdet. Hierdurch wird in die grundrechtlich geschützte Substanz des Betriebes eingegriffen", führt v. Preen aus. 3. Darüber hinaus rügen die Händler in ihrer Verfassungsbeschwerde die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 3 GG. In diesem Gesetz werden vergleichbare Geschäfte (privilegierte und nicht privilegierte) offensichtlich unterschiedlich behandelt, ohne dass aus einer Gesetzesbegründung ein Sachgrund für diese Ungleichbehandlung ersichtlich ist. "Es ist für uns völlig unverständlich, warum ein Gartencenter unabhängig vom Inzidenzwert öffnen darf, und der danebenliegende Baumarkt schließen muss. Aus Infektionsschutzgesichtspunkten macht diese unterschiedliche Behandlung keinen Sinn und dient definitiv nicht dem Zweck des Schutzes des Lebens und der Gesundheit des einzelnen", beschreibt Diekmann stellvertretend für die Händlergruppe.
Das Bundesgesetz atme zudem stark den aktuellen Geist der Corona-Pandemie. In seiner jetzigen Ausführung und letzten Konsequenz würde das Gesetz aber weit darüber hinaus auch den zukünftigen Umgang mit anderen Infektionskrankheiten, wie einer Influenza, vorzeichnen und damit die Geschäftspolitik von Händlern, Gastronomen oder Kulturtreibenden stark beeinflussen. "Wenn wir das Infektionsschutzgesetz eng auslegen, könnte uns in Zukunft jede normale Grippe wieder in den Lockdown schicken. Spätestens das zeigt, dass einige Punkte in dem Gesetz nicht zu Ende gedacht wurden", ergänzt Diekmann.
"Händler helfen Händlern" stellt den Entwurf der Verfassungsbeschwerde als "Rohling" jedem Händler gegen eine Kostenpauschale zur Verfügung, sodass alle Interessenten die Vorlage auf die eigene Unternehmenssituation anpassen und dann selbst als Beschwerde beim Verfassungsgericht einreichen können. "Im Namen unserer Initiative "Händler helfen Händlern" danken wir Prof. Lindner und auch der Kanzlei Heuking für ihre Expertise und Unterstützung im Rahmen unserer Verfassungsbeschwerde. Nun warten wir gespannt auf die Rückmeldung aus Karlsruhe, um dann entsprechend für alle angeschlossenen Händler die nächsten Schritte zu koordinieren," sagt v. Preen abschließend.
Die Beschwerdeführer wegen Verfassungswidrigkeit des § 28b I Nr. 4 IfSG sind die EK Servicegroup (Bernhard Schnittker GmbH), Engelhorn, Ernsting's family, die INTERSPORT Deutschland (Voswinkel und Borgmann Sport), Jeans Fritz, mister*lady, ROSE Bikes, Takko und Tom Tailor.
Über Händler helfen Händlern: Die Pro-Bono-Initiative "Händler helfen Händlern" startete am 19. März 2020, als aufgrund der Corona-Pandemie deutschlandweit sog. "nicht systemrelevante stationäre Geschäfte" ihr Ladentüren schließen mussten. Dazu haben führende mittelständische Handelsunternehmen eine Gruppe auf der Karriereplattform LinkedIn ins Leben gerufen, die betroffene Unternehmer und Unternehmerinnen informiert und untereinander vernetzt. Die Gruppe zählt mittlerweile über 4.300 Mitglieder, darunter Händler, Handels- und Wirtschaftsverbände, Journalisten und Handelsexperten. Händler wie Rose Bikes, MediaMarkt, Saturn, TomTailor und Intersport unterstützen die Initiative. "Händler helfen Händler" wurde im September 2020 von der GS1 und PricewaterhouseCoopers mit dem ECR Award 2020 "Helden der Stunde" ausgezeichnet.
Quelle: Pro-Bono-Initiative Händler helfen Händler (ots)