Rukwied: "Wirtschaftliche Lage der Bauern hat sich drastisch verschlechtert"
Archivmeldung vom 08.12.2015
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 08.12.2015 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt"Die wirtschaftliche Lage der deutschen Landwirtschaft hat sich wegen stark gesunkener Erzeugerpreise drastisch verschlechtert. Wesentliche Ursachen sind neben dem Russland-Embargo, das zu Einbußen in Milliardenhöhe für die deutsche Landwirtschaft führt, Konjunkturschwächen in nachfragestarken asiatischen Ländern sowie gut versorgte internationale Märkte. Der Erlös- und Einkommenseinbruch betrifft fast alle Betriebszweige und Regionen.
Besonders die Ferkelerzeuger, Schweinemäster und Milchbauern haben im Wirtschaftsjahr 2014/15 einen massiven und derzeit noch anhaltenden Erlös- und Einkommenseinbruch erlebt. Der Gewinneinbruch erinnert an die Krisenjahre von 2008/09." Dies stellte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, bei der Vorstellung des Situationsberichtes 2015/16 fest. "Derzeit tragen fast ausschließlich unsere Landwirte die Folgen schwankender und niedriger Agrarpreise. Der Abstand zwischen Erzeuger- und Verbraucherpreisen hat sich bei vielen Produkten deutlich vergrößert. Lebensmitteleinzelhandel und Ernährungsindustrie können zu Niedrigpreisen einkaufen. Dies geht aber zu Lasten unserer Bauern", kritisierte Rukwied.
"Die wettbewerbsschädliche Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel führt eindeutig zu Wertschöpfungsverlusten in der Landwirtschaft", stellte Rukwied fest. Er forderte kartellrechtliche Rahmenbedingungen, die "die Schieflage bei der Wertschöpfung in der Lebensmittelkette" korrigieren. Vor diesem Hintergrund lehnt der Bauernverband weitere Zusammenschlüsse und Konzentrationen unter den marktführenden Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels ab. Kritisch sieht der Bauernpräsident auch das Urteil des Oberlandesgerichtes Düsseldorf zur Zulässigkeit von sogenannten Hochzeitsrabatten. "Das Kartellrecht wird zu einem stumpfen Schwert", befürchtete Rukwied. Er übte angesichts des Milchpreisverfalls auch Kritik an der "wenig erfolgreichen Positionierung der Molkereien gegenüber dem Handel".
Auch für das laufende Wirtschaftsjahr 2015/16 erwartet Rukwied eine "weiterhin angespannte wirtschaftliche Lage der Betriebe". Die Hilfen der EU sowie die Erhöhung des Bundeszuschusses zur Landwirtschaftlichen Unfallversicherung könnten die Erlöseinbußen zwar etwas abmildern, aber nicht ausgleichen. Politische Initiativen zur Aufhebung des Russland-Embargos seien das Gebot der Stunde. Auch sei eine "Agrarpolitik mit Augenmaß" erforderlich, die kostenaufwändige Bürokratie abbaue und die Wettbewerbsfähigkeit nicht durch zusätzliche Auflagen belaste. Angesichts der zunehmend schwankenden Einkommen wies Rukwied erneut auf die Risikoausgleichsrücklage als geeignetes und dringend erforderliches Instrument für die eigenverantwortliche und einzelbetriebliche Risikovorsorge hin. "Die Wachstumschancen in den europäischen Märkten, wohin 85 Prozent der deutschen Agrarexporte gehen, sind begrenzt. Deshalb ist eine Exportoffensive notwendig, um eine Diversifikation wertschöpfungsstarker Absatzkanäle auch in Drittländern zu erreichen. Die Bundesregierung muss den Agrarexport aktiver pflegen und erschließen", erklärte Rukwied.
Die repräsentative Auswertung der Buchführungsergebnisse von fast 14.000 Betrieben weist für das abgelaufene Wirtschaftsjahr 2014/15 einen dramatischen Einbruch der Unternehmensergebnisse um durchschnittlich 35 Prozent auf. Im Schnitt hat ein landwirtschaftlicher Betrieb 43.300 Euro Gewinn (Vorjahr 66.400 Euro) verbucht, von dem aber noch die Finanzierung von Neuinvestitionen und die Beiträge für die Sozialversicherung (in Höhe von derzeit 6.850 Euro) bestritten werden müssen. Damit erzielte ein Landwirt umgerechnet nur noch ein "Vergleichs-Bruttoeinkommen" von monatlich etwa 2.500 Euro bzw. jährlich 30.000 Euro (je Familien-Arbeitskraft). Die Betriebe mit Milchviehhaltung haben ihr Unternehmensergebnis gegenüber dem Vorjahr fast halbiert. Die Veredlungsbetriebe mit Schweinehaltung und die Ackerbaubetriebe verzeichnen bis zu einem Drittel niedrigere Unternehmensergebnisse. Im Wirtschaftsjahr 2014/15 haben lediglich die Weinbaubetriebe und die Biobetriebe eine wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung erreichen können.
Im Einzelnen erzielten die Milchviehbetriebe ein Unternehmensergebnis von durchschnittlich 38.800 Euro (minus 44 Prozent), die Rindermastbetriebe von 32.200 Euro (minus 35 Prozent) und die Veredlungsbetriebe von 44.900 Euro (minus 33 Prozent). Unter den Veredelungsbetrieben mussten die Sauenhalter und Ferkelerzeuger den stärksten Rückgang erleben. Die Betriebe schreiben seit Jahren rote Zahlen. Dementsprechend verläuft hier der Strukturwandel mit der größten Geschwindigkeit; der Rückgang der Zahl der Betriebe beträgt 5,6 Prozent. Dagegen haben die Sonderkulturbetriebe mit Weinanbau ihr Unternehmensergebnis um 4 Prozent auf 62.200 Euro verbessern können. Für die Sonderkulturbetriebe mit Obstanbau war das Wirtschaftsjahr 2014/15 äußerst schwierig: Sie halbierten ihr Unternehmensergebnis. Die Öko-Betriebe (23.400 Betriebe, die 1,05 Mio. Hektar von insgesamt 17 Mio. Hektar bewirtschaften) konnten ein durchschnittliches Unternehmensergebnis von 73.800 Euro erzielen (plus 11 Prozent). Von den hauptsächlich in den ostdeutschen Ländern wirtschaftenden Agrargenossenschaften wurde mit 40.200 Euro je Arbeitskraft (Unternehmensergebnis plus Personalaufwand je Arbeitskraft) ebenfalls ein niedrigeres Ergebnis erzielt (minus 5 Prozent). Die Nebenerwerbsbetriebe erzielten 2014/15 ein Unternehmensergebnis von 13.400 Euro (minus 20 Prozent).
In der deutschen Landwirtschaft gibt es nach den vorläufigen Zahlen des Situationsberichts 2015/16 im Jahr 2015 rund 280.000 Betriebe. Der Situationsbericht zeigt anhand zahlreicher Zahlen und Fakten die Leistungen der Bauernfamilien für die Ernährungssicherung, für den ländlichen Raum, für Arbeitsplätze und Wertschöpfung, für den Umwelt- und Naturschutz sowie für das Tierwohl auf. Die Landwirtschaft ist eine hochgradig innovative Branche, aber auch vergleichsweise kapitalintensiv: 493.700 Euro (ohne Grund und Boden) müssen je Arbeitsplatz aufgebracht werden. Die Investitionen der Betriebe sind im Wirtschaftsjahr 2015/16 aufgrund der niedrigen Agrarpreise und der verschlechterten Liquidität um 8 Prozent auf 54.400 Euro zurückgegangen. Für das Jahr 2016 wird mit einem weiteren deutlichen Rückgang gerechnet. Der Strukturwandel, gemessen an der Veränderung der Zahl der Betriebe, liegt im mehrjährigen Mittelwert bei 1,7 Prozent in den alten Bundesländern und bei 0,2 Prozent in den neuen Bundesländern (2007 bis 2014).
Quelle: Deutscher Bauernverband (DBV) (ots)