Krankenkassen: Wenn die Reserven schmelzen wie der Schnee in der Sonne...
Archivmeldung vom 16.01.2020
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.01.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch André OttDen meisten bundesdeutschen gesetzlichen Krankenkassen brechen seit Jahren die Anfang des letzten Jahrzehntes angesammelten Vermögen und Rücklagen weg. Neben superreichen Kassen, die oft genug im Osten der Bundesrepublik angesiedelt sind (z.B. die AOK Sachsen-Anhalt), existieren bereits Körperschaften, die in 2020 der finanziellen Hilfe ihrer Kassenart bedürfen könnten.
Angesichts der aufgelaufenen Defizite sind im Fünf-Jahres-Vergleich viele Bilanzen tiefrot gefärbt. Die Gefahr höher steigender Zusatzbeiträge für die Kassenmitglieder rückt daher immer näher. Das ergaben die Recherchen des führenden Berliner gesundheitspolitischen Hintergrunddienstes "dfg - Dienst für Gesellschaftspolitik". Der "dfg" wertet seit Jahren zusammen mit dem führenden gesundheitsökonomischen Forschungsinstitut, der WIG2 GmbH in Leipzig, die veröffentlichten Bilanzen der gesetzlichen Krankenkassen aus.
Am 30. November 2019 existierten in Deutschland noch 109 Krankenkassen. Diese mußten zu diesem Stichtag ihre Bilanzen für 2018 im Bundesanzeiger veröffentlichen. Einige Ergebnisse sind erschreckend. So wiesen bei den Beständen der "Gesamtvermögen" z.B. im direkten Vergleich 2017 zu 2018 allein 33 Körperschaften ein negatives Ergebnis aus. Ein Abbau der "Rücklagen" fand im gleichen Zeitraum bei 15 Kassen statt. Noch tiefroter sehen sogar die Fünf-Jahres-Vergleiche aus. Von Ende 2014 bis Ende 2018 schmolz bei 49 Körperschaften das Gesamtvermögen, also fast bei jeder zweiten. Und 23 bauten innerhalb von fünf Jahren ihre aufgebauten Rücklagen ab. Die Mär von den immer reicheren Krankenkassen trifft also nicht auf alle zu. Da die Große Koalition seit Jahren den Kassen immer mehr neue Leistungen in Milliarden-EUR-Höhe aufbürdet, dürften sich die Konten vieler Kassen immer schneller leeren.
Deutschlands reichste Kasse war zum Stichtag 31. Dezember 2018 wieder einmal die AOK Sachsen-Anhalt. Mit einem pro-Kopf-Gesamtvermögen von 1.200,86 EUR je Versicherten schoß sie den Vogel ab. Mehr als das Dreizehnfache der "ärmsten" Kasse, die aus Hessen stammt. Wer den Magdeburgern diese Lizenz zum Gelddrucken verabreichte, das dürfte wohl nie herauskommen. Eine der kleinsten Betriebskrankenkassen (BKKen), die BKK Groz-Beckert, in den letzten Jahren stets Spitzenreiter des Rankings, folgt der Ortskrankenkasse mit 1.199,72 EUR dicht auf dem Fuße. Auf Platz 3 erscheint erneut die BKK Euregio. Vorgerobbt haben sich weitere BKKen. Und unter den 25 vermögendsten Körperschaften finden sich vier weitere AOKen aus Dresden, Hannover, Bremen und dem hessischen Bad Homburg, die Bochumer Knappschaft (KBS) und mit der Bremer handelskrankenkasse (hkk) nur eine Ersatzkasse. Eine Innungskrankenkasse (IKK) sucht man auf den vorderen Plätzen vergeblich.
Unter den 15 ärmsten Kassen finden sich nur mittelgroße BKKen, mit der BIG direkt gesund eine IKK, dafür aber mit der DAK Gesundheit, der BARMER und der KKH gleich drei Ersatzkassen. Ein jüngst im Ersatzkassenverband vdek geschlossener Vertrag über freiwillige Finanzhilfen gem. § 265 b SGB V dürfte also so seine Berechtigung haben. Schlußlicht ist in diesem Jahr die Melsunger BKK Wirtschaft & Finanzen mit einem pro-Kopf-Vermögen von mageren 90,66 EUR je Versicherten.
Neben den Vermögen der Krankenkassen sorgen die gesetzlich vorgeschriebenen Rücklagen häufig für politischen Zündstoff. Mit mindestens einem Viertel einer Monatsausgabe soll eine Krankenkasse ausreichend vor finanziell kritischen Ereignissen abgesichert sein. Andererseits sind die Rücklagen nach oben gedeckelt. Sie darf nach dem GKV-VEG nur noch eine volle Monatsausgabe betragen, 2018 war es noch das 1,5fache einer Monatsausgabe. Die "reichen" Kassen horten - sehr zum Unwillen von CDU-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (39) - ein Mehrfaches. Wie schon beim Gesamtvermögen führt die AOK Sachsen-Anhalt auch dieses Ranking mit 344,40 EUR je Versicherten an.
Neben der AOK PLUS mit 295,53 EUR konnte auch eine weitere AOK-Schwester ihre Rücklagen stark erhöhen: Von 136,65 EUR im Jahr 2017 auf 276,34 EUR je Versicherten 2018 erreichte die AOK Bremen/ Bremerhaven eine stolze Verdopplung ihrer Rücklagen. In der Liste der 30 Kassen mit den höchsten Rücklagen finden sich neben einigen Betriebskrankenkassen auch die Knappschaft (KBS) mit leicht zurückgegangenen 239,90 EUR sowie die Handelskrankenkasse (hkk) mit leicht gestiegenen 207,99 EUR pro Versicherten. Mit 38,30 EUR bildete 2018 die BKK Herkules das untere Ende des Rankings ab. Die großen Ersatzkassen BARMER und DAK-Gesundheit konnten indes ihre Rücklagen - wie schon im Jahresvergleich zuvor - weiter stabilisieren.
Quelle: MC.B Verlag GmbH (ots)