Attac fordert Neuanfang für soziales und demokratisches Europa
Archivmeldung vom 13.12.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 13.12.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMit scharfer Kritik haben die europäischen Attac-Organisationen auf das Vorhaben des irischen Ministerpräsidenten Brian Cowen reagiert, die Bürgerinnen und Bürger seines Landes erneut über den eingefrorenen EU-Reformvertrag (Vertrag von Lissabon) abstimmen zu lassen.
"Dass Brian Cowen einknickt, ist das Ergebnis einer beispiellosen und zutiefst undemokratischen Druckkampagne der europäischen Staats- und Regierungschefs, die demokratische Entscheidungen offenbar nur respektieren, wenn sie in ihrem Sinne ausfallen", stellte Jutta Sundermann fest, Vertreterin von Attac Deutschland in der gemeinsamen Arbeitsgruppe der europäischen Attac-Organisationen.
Nach dem "Nein" der Iren hatten mehrere europäische Staats- und Regierungschefs das Ausscheiden Irlands aus der Europäischen Union gefordert, andere hatten auf eine erneute Abstimmung gedrungen. "Das Votum der irischen Bürgerinnen und Bürger muss respektiert werden. Alles andere würde die Demokratie in Europa zutiefst beschädigen", sagte Jutta Sundermann. Sie erinnerte daran, dass die irische Bevölkerung als einzige Europas über den EU-Vertrag abstimmen konnte.
In allen anderen Ländern seien Referenda gezielt verhindert und der Vertrag über die Köpfe der Menschen hinweg durchgedrückt worden. "Dabei ist der Inhalt dieses Vertrages schon vor drei Jahren in Volksabstimmungen in den Niederlanden und in Frankreich abgelehnt worden", betonte Jutta Sundermann. 90 Prozent des jetzigen Vertrages seien deckungsgleich mit dem Entwurf zur Europäischen Verfassung.
Das irische Nein habe der EU die Chance auf eine längst überfällige Kurskorrektur eröffnet - hin zu einem demokratischen, sozialen und friedlichen Europa. Diese Chance gelte es, endlich zu ergreifen. "Nicht erst die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise zeigt, dass ein "Weiter so!" in die Katastrophe führt. Wer Europa will, muss Alternativen zur heutigen EU entwickeln", sagte Hugo Braun, ebenfalls Mitglied der europäischen Attac-Arbeitsgruppe.
Bereits im Frühjahr 2007 haben die Attac-Organisationen aus 15 EU-Ländern sowie der Schweiz "Zehn Prinzipien für einen demokratischen EU-Vertrag" vorgelegt, die derzeit in einem europaweiten Prozess fortgeschrieben werden. Darin fordern die Globalisierungskritiker, in einem demokratischen und transparenten Prozess eine gemeinsame Grundlage der EU zu entwickeln. Transparenz, klare demokratische Spielregeln und Elemente direkter Demokratie müssten in der täglichen Praxis der EU selbstverständlich sein. Die EU dürfe nicht wie im Vertrag von Lissabon festgelegt werden auf eine bestimmte - die neoliberale - Wirtschaftsform. Stattdessen gelte es, das Steuer-, Sozial-, Lohn- und Umweltdumping in eine Aufwärtsspirale zu wenden. Auch die Grundrechte müssten besser gewahrt werden. Hugo Braun: "Und nicht zuletzt muss für die EU eine Friedens- statt einer Aufrüstungspflicht gelten."
Kurz-Zusammenfassung der "Zehn Prinzipien für einen demokratischen EU-Vertrag" von Attac:
1) Ein neuer Konvent muss demokratisch von den EU-Bürgerinnen und
Bürgern gewählt und ein neuer Vertrag durch Referenda in allen
Mitgliedsstaaten legitimiert werden.
2) Das Europäische Parlament muss das Gesetzesvorschlags- und
Mitentscheidungsrecht in allen Politikfeldern erhalten sowie das Recht,
die Kommissionsmitglieder einzeln zu wählen und abzuwählen.
3) Alle Sitzungen und Arbeitsgruppen des Rates und der ständigen
Vertreterinnen und Vertreter müssen öffentlich sein. Lobbyisten,
Mitglieder des Parlaments sowie der Kommission müssen ihre Finanzierung
offen legen.
4) Der Bevölkerung soll nicht nur ein Vorschlagsrecht für Gesetze und
das Instrument des Volksbegehrens gegeben werden, sondern auch das
Instrument des Volksentscheids.
5) Die fortschrittlichsten Grundrechte müssen einklagbar verankert
werden. Die EU muss der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten.
6) Demokratische Errungenschaften müssen geschützt und ausgebaut
werden. Umwelt-, Sozial- und Arbeitsstandards müssen in Kooperation
erhöht werden.
7) Ein Vertrag darf kein bestimmtes Wirtschaftsmodell festlegen und
muss auf allen Ebenen alternative Entscheidungen zulassen. Der "freie"
Wettbewerb darf kein übergeordnetes Prinzip der EU sein.
8) Ein Vertrag muss Ziele, nicht deren Mittel definieren: Ökologische
Nachhaltigkeit muss den Binnenmarktfreiheiten übergeordnet werden. In
der Geldpolitik ist Vollbeschäftigung wichtiger als
"Preisstabilität".In der Verkehrspolitik ist nachhaltige Mobilität
wichtiger als Autobahnen. In der Agrarpolitik sind kleinbäuerliche
Strukturen und gesunde Lebensmittel wichtiger als
"Produktivitätssteigerung".
9) Das Steuer-, Sozial-, Lohn- und Umweltdumping muss in eine
Aufwärtsspirale gewendet werden - durch ehrgeizige Mindeststandards,
Korridore oder das Vorausgehen von Ländergruppen.
10) Ein Vertrag muss eine Friedens- statt Aufrüstungspflicht festschreiben.
Quelle: Attac