ROG fordert vor der Präsidentenwahl Schutz für Journalisten in Afghanistan
Archivmeldung vom 02.04.2014
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 02.04.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAngesichts einer Welle der Gewalt in Afghanistan fordert Reporter ohne Grenzen (ROG) die Regierung in Kabul auf, in- und ausländische Journalisten besser zu schützen. In den vergangenen Jahren war die Zahl getöteter Journalisten in Afghanistan zwar rückläufig. Vor der Präsidentschaftswahl am 5. April 2014 sind jedoch mehrere Journalisten bei Anschlägen getötet worden.
"Die tödlichen Angriffe zeigen, dass Afghanistan keineswegs sicher ist und Journalisten eine Zielscheibe radikaler Kräfte bleiben", sagt ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin. "Der anstehende Abzug der internationalen Truppen könnte zu einer weiteren Verschlechterung der Situation für Journalisten führen. Die künftige Regierung muss sich endlich für die Sicherheit von Medienvertretern einsetzen."
Ein aktueller, auf Interviews und Recherchen in Afghanistan fußender Bericht von Reporter ohne Grenzen zeigt, wie schwierig die Lage für Journalisten und Medien ist (http://bit.ly/1krnEOA). Seit Beginn des Präsidentschaftswahlkampfes am 15. Februar dieses Jahres wurden Journalisten in mindestens 20 Fällen bedroht oder angegriffen. Am 21. März dieses Jahres ist etwa der afghanische AFP-Reporter Sardar Ahmad bei einem Anschlag auf ein Kabuler Luxushotel ums Leben gekommen. Bei dem Überfall wurden insgesamt neun Menschen getötet, darunter auch Ahmads Ehefrau sowie zwei seiner Kinder (http://bit.ly/PgXHar). Am 11. März wurde der schwedisch-britische Radiojournalist Nils Horner ermordet. Als er mit seinem Assistenten und seinem Fahrer ein Restaurant in Kabul verließ, wurde der Reporter des öffentlich-rechtlichen Senders Sveriges Radio aus Schweden mehrfach von hinten in den Kopf geschossen (http://bit.ly/1cXTaFd). Bereits am 23. Januar dieses Jahres verschwand der Radiomoderator Nur Ahmad Nuri in Lashkar Gah, der Hauptstadt der Provinz Helmand. Am gleichen Tag wurde seine Leiche in einem Plastiksack entdeckt. Seine Mörder hatten ihn mit einem Schal stranguliert und mit Messerstichen in den Kopf verletzt (http://bit.ly/1aRPcXS).
Am 24. März sprengten Unbekannte den lokalen Radiosender Kalam in der östlichen Provinz Nangarhar in die Luft. Verletzt wurde niemand, doch sowohl das Gebäude als auch Ausstattung und Technik im Wert von rund 180.000 Euro wurden zerstört. Der Sender hatte erst im Juni vergangenen Jahres begonnen, ein vierstündiges Programm aus Politik, Kultur und Religion auszustrahlen. Zu der Tat bekannt hat sich anschließend niemand, Chefredakteur Inamullah Miachel zufolge hatte der Sender in den vergangenen Monaten jedoch wiederholt Drohanrufe erhalten (http://bit.ly/1dMBfBE).
Seit dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 hat sich in Afghanistan eine vielfältige Medienlandschaft entwickelt. Neben Dutzenden Zeitungen und Zeitschriften gibt es mittlerweile 65 Fernsehkanäle und mehr als 170 Radiosender. Dort laufen nicht nur Nachrichten, sondern auch Comedy-Sendungen und Unterhaltungsprogramme. Die afghanische Verfassung garantiert Medien- und Informationsfreiheit. Vor allem im Süden und Osten des Landes, den die Taliban de facto dominieren, werden Journalisten vermehrt bedroht und angegriffen. Laxe Strafverfolgung führt zu einem Klima von Straffreiheit. Seit 2002 sind 19 Medienvertreter im Zusammenhang mit ihrer Arbeit ums Leben gekommen. So wurden die Morde an dem Journalisten an Abdul Samad Rohani im Jahr 2008 sowie an Dschanullah Haschimsada und an Dschaved Ahmed im Jahr 2009 bis heute nicht aufgeklärt (http://bit.ly/1krnEOA).
Besonders Journalistinnen haben es schwer, vor allem, wenn sie sich als Gesicht oder Stimme eines Senders exponieren. Aus Sorge, dass ihnen etwas passieren könnte, versuchen ihre Familien zum einen, die Frauen von der journalistischen Arbeit abzubringen. Die Journalistinnen müssen andererseits aber auch damit rechnen, von den eigenen Verwandten umgebracht zu werden, wenn diese nicht akzeptieren, dass die Frauen überhaupt arbeiten. Wie ROG in seinem Bericht darlegt, wurden während der vergangenen Jahre die Afghaninnen Sakia Saki, Schima Resai und Schakiba Sanga Amadsch offenbar wegen ihrer journalistischen Tätigkeit ermordet. Sowohl Polizei als auch Justiz sprachen anschließend jedoch von "privaten Gründen" für die Tat und brachten die Morde nicht mit der Arbeit der Opfer in Zusammenhang.
Im Rahmen seiner Nothilfearbeit unterstützt ROG die afghanische Journalistin Scharmila Haschimi bei ihrem Asylverfahren in Deutschland. Bis vergangenen Sommer hat die 26-Jährige in Herat im Westen Afghanistans als Journalistin und Trainerin in einem Ausbildungszentrum gearbeitet. Als der Druck durch die Taliban zunahm, floh die junge Frau mit ihrem Mann und ihrem Sohn (http://bit.ly/1fr0ZSs).
Der anstehende Abzug der Nato-Truppen wird weitreichende Folgen für Politik und Gesellschaft in Afghanistan haben. Auf die Medienvielfalt im Land könnte er sich negativ auswirken, denn finanzielle Zuwendungen werden mit dem Abzug schwinden. Ohne internationale Gelder werden viele Medien nicht überleben können. Redakteure und Reporter fürchten, dass örtliche Warlords und Taliban den entstehenden Freiraum besetzen und sowohl die Medien als auch die Journalisten unter ihre Kontrolle bringen werden (http://bit.ly/QF1qzO).
Afghanistan steht auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit aktuell auf Platz 128 von 180. Aktuelle Informationen zu Verstößen gegen die Pressefreiheit in Afghanistan finden Sie unter http://en.rsf.org/afghanistan.html, den aktuellen ROG-Bericht zur Lage der Medien finden Sie unter http://bit.ly/1krnEOA.
Quelle: Reporter ohne Grenzen e.V. (ots)