In der Türkei angeklagter Grünen-Politiker Kilic: Prozess in Ankara mache ihn "zur Zielscheibe" und solle ihn wirtschaftlich zu ruinieren
Archivmeldung vom 17.12.2019
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Freigeschaltet durch André OttDer deutsch-türkische Grünen-Politiker Memet Kilic, der per Festnahme zu einer Aussage in der Türkei gezwungen werden soll, hat dem "Tagesspiegel" gesagt, er solle von der Türkei zum Staatsfeind erklärt und "zur Zielscheibe gemacht werden".
Seine Vernehmung in Deutschland habe das türkische Gericht abgelehnt, sagte Kilic, der die Prozesseröffnung von Deutschland aus verfolgte. "Ich fühle mich bedroht. Normale Leute stehen morgens auf und fahren zur Arbeit. Ich schaue erstmal unters Auto und prüfe, ob die Räder in Ordnung sind." Er erhalte bereits Jahren Drohungen. In Zeiten, in denen sich die Anfeindungen häuften, hole er seinen 15-jährigen Sohn von der Schule ab und lasse ihn nicht mit dem Bus fahren. Polizeischutz lehne er ab, doch er erwäge einen Antrag auf einen Waffenschein, "damit wenigstens Waffengleichheit herrscht".
Bei einer Einreise in die Türkei würde Kilic laut dem Gerichtsbeschluss in Ankara vom Dienstag verhaftet. Eine Auslieferung aus Deutschland an die Türkei muss Kilic wegen seines deutschen Passes nicht befürchten. Dennoch solle er unter Druck gesetzt werden, sagte der Anwalt dem "Tagesspiegel". Wenn die Türkei über die internationale Polizeibehörde Interpol nach ihm fahnden lasse, könne es sein, dass er beispielsweise bei einem Urlaub in Frankreich festgenommen werde. Der Prozess in Ankara ziele unter anderem darauf, ihn wirtschaftlich zu ruinieren. Seine Zulassung in Deutschland basiere auf seinem türkischen Anwaltsdiplom, ohne das er deshalb in Deutschland nicht mehr arbeiten dürfte. Die deutschen Behörden weigerten sich bisher, ihm eine deutsche Zulassung zu geben. Zudem habe ihn das türkische Generalkonsulat Karlsruhe ohne Begründung von seiner Dolmetscher-Liste gestrichen.
Kilic, 52, der die deutsche und die türkische Staatsbürgerschaft hat, saß von 2009 bis 2013 für die Grünen im Bundestag an und ist weiter politisch aktiv, unter anderem als Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Migration und Flucht seiner Partei in Baden-Württemberg. Vor zwei Jahren hatte er der Internetzeitung "ABC Gazetesi" gesagt, Erdogan habe der Türkei einen "untragbaren" Schaden zugefügt: Er sei "als Politiker mit türkischen Wurzeln sehr traurig darüber, dass mein Land in diese Lage gebracht wurde und bezeichne diejenigen, die es in diese Lage gebracht haben, als Vaterlandsverräter", sagte er damals. Wegen dieser Aussagen fordert die Staatsanwaltschaft bis zu sechs Jahre Haft sowie den Entzug von Kilic' Anwaltsdiplom. In dem Prozess, der am Dienstag begann, tritt Erdogan als Nebenkläger auf.
Quelle: Der Tagesspiegel (ots)