Militärhistoriker: Krieg wird noch viele Jahre fortdauern
Archivmeldung vom 21.05.2022
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićDer Militärhistoriker Sönke Neitzel hält Hoffnungen auf eine baldige Waffenruhe in der Ukraine für abwegig. "Der Wunsch nach Frieden vernebelt vielen den Blick auf die Realität. Meine Befürchtung: Der russisch-ukrainische Krieg wird noch viele Jahre fortdauern", sagte der Professor der Universität Potsdam im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ).
Der Ruf von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach einer Waffenruhe "sei verständlich, aber Wunschdenken", sagte Neitzel.
Keine Seite sei militärisch so geschwächt, dass sie verhandeln müsse, um eine totale Niederlage abzuwenden. "Eine Waffenruhe könnte Moskau sogar in die Hände spielen. Die russische Kalkulation wird sein, in einer Feuerpause Kraft zu schöpfen und dann wieder anzugreifen", sagte der Professor. Bei einer Waffenruhe würde "in Berlin vielleicht frohlockt, aber ein Ende des militärischen Konfliktes wäre mitnichten in Sicht".
Seine Begründung: Moskaus Truppen würden sich gerade entlang der Landbrücke zur Krim in der Südukraine "eingraben". Um die Front dort zu verschieben "müsste die Ukraine eine Überlegenheit von mindestens 3:1 herstellen, bräuchte auch Luftüberlegenheit, um russische Nachschublinien zu kappen. Das traue ich dem ukrainischen Militär nicht zu."
Im Osten der Ukraine werde Putin alles daransetzen, die beiden Oblaste im Donbass komplett einzunehmen und dann zu halten. "Auch wenn ihm das nicht vollständig gelingen wird, dürfte die Intensität der Kämpfe nachlassen. In einigen Wochen erwarte ich ein Abflauen, dann stehen die Frontverläufe erst mal fest." Putin habe die Landbrücke zur Krim und immerhin 20 Prozent der Ukraine erobert. "Das könnte ihm vorerst ausreichen. Es könnte Putins Strategie sein, den Gegner dann auf die russischen Stellungen anrennen und langsam ausbluten zu lassen."
Neitzel hält sogar "den Abwurf einer taktischen Nuklearwaffe für möglich, wenn Putin die Gefahr sieht, den Donbass an die Ukraine zu verlieren". Der Präsident könne seinem Volk nicht mehr gegenübertreten, wenn er die Oblaste im Osten, die er schon als unabhängig von Kiew anerkannt habe, verliert. Lediglich China könne Putin warnen, beim Einsatz einer Nuklearwaffe würde er eine Grenze überschritten und die Peking-Moskau-Allianz zerstört. "Das könnte ihn selbst dann vom Einsatz solch einer Waffe abschrecken, wenn das russische Militär kollabiert."
Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung (ots)