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Reporter ohne Grenzen: Obama sollte Whistleblowerin Manning Reststrafe erlassen

Archivmeldung vom 16.11.2016

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.11.2016 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Logo - Reporter ohne Grenzen e.V.
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Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert US-Präsident Barack Obama auf, der inhaftierten Whistleblowerin Chelsea Manning vor seinem Ausscheiden aus dem Amt den Rest ihrer Freiheitsstrafe zu erlassen. Manning sitzt wegen ihrer Enthüllungen etwa über Exzesse des US-Militärs in Afghanistan und im Irak seit mehr als sechs Jahren im Gefängnis und verbüßt eine insgesamt 35-jährige Haftstrafe. ROG appelliert an Obama außerdem, den in einem Indizienprozess zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilten ehemaligen CIA-Mitarbeiter und Whistleblower Jeffrey Sterling zu begnadigen.

"Chelsea Manning sitzt schon jetzt länger im Gefängnis als jeder andere verurteilte Whistleblower in der US-Geschichte und hat während ihrer Haft grausam gelitten. Ihre unverhältnismäßige Strafe weiterhin zu vollstrecken, wäre eine unnötige Verlängerung ihrer Qualen", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Schon jetzt zeichnen sich schwere Zeiten für die Pressefreiheit in den USA unter dem künftigen Präsidenten Donald Trump ab. Gnade für Chelsea Manning und Jeffrey Sterling wäre eine späte Gelegenheit für Obama, sich nach seinem erbitterten Feldzug gegen Whistleblower mit einem positiven Signal aus dem Amt zu verabschieden."

MANNING HAT IN HAFT ZWEI MAL VERSUCHT, SICH ZU TÖTEN

Mannings Anwalt hat die formelle Bitte seiner Mandantin um einen Erlass der verbleibenden Haftstrafe in einem Schreiben vom 10. November eingereicht (http://t1p.de/9wo6). Ein US-Militärgericht hatte Manning 2013 zu 35 Jahren Haft verurteilt (http://t1p.de/cnez); der Prozess über ihre Berufung steht noch aus. Während ihres Militärdienstes in einer Aufklärungseinheit der US-Armee in Kuwait hatte sie unter anderem Hunderttausende geheime Militärdokumente über die Kriege im Irak und in Afghanistan kopiert und der Enthüllungsplattform WikiLeaks zugespielt.

Die Enthüllungen stießen eine breite internationale Debatte über die Irak- und Afghanistanpolitik der USA sowie über Exzesse von Militär und Justiz an. Unter den durch Manning publik gewordenen Dokumenten war etwa das Video eines Hubschrauberangriffs von US-Soldaten auf eine Gruppe von Zivilisten in der irakischen Hauptstadt Bagdad, bei dem unter anderem zwei Reuters-Journalisten getötet wurden.

Vor ihrem Prozess verbrachte Manning, die zunächst unter dem Männernamen Bradley bekannt wurde, fast ein Jahr in Einzelhaft. Nach einem Selbstmordversuch im vergangenen Juli kam sie erneut in Einzelhaft und versuchte dort am 4. Oktober ein zweites Mal, sich das Leben zu nehmen (http://t1p.de/1dcm). In einem Begleitschreiben zu der Bitte um Straferlass schildert Manning ausführlich, wie sie nicht zuletzt während ihres Militärdienstes und in der Haft massiv unter der zunehmenden Gewissheit litt, im falschen Körper geboren zu sein und eigentlich als Frau leben zu wollen. Der Militärjustiz trotzte sie erst nach langem Rechtsstreit graduelle Zugeständnisse an ihren Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung ab.

Manning und ihr Anwalt betonen, dass sie sich im Prozess zu ihrer Schuld bekannte und auf Absprachen mit der Staatsanwaltschaft verzichtete. Ihre Hoffnung, dass die Militärjustiz ihre Sorge über Rechtsverstöße der USA und die Tötung unschuldiger Zivilisten als Motiv für die Enthüllungen anerkenne, sei jedoch enttäuscht worden. Manning bitte ausdrücklich nicht um eine Begnadigung und sei bereit, Folgen ihrer Verurteilung wie die unehrenhafte Entlassung aus der Armee und den Verlust ihrer Ansprüche als Veteranin hinzunehmen.

JEFFREY STERLING: VERURTEILT WEGEN KONTAKTEN ZU EINEM JOURNALIST

Jeffrey Sterling, ein ehemaliger CIA-Experte für das Atomprogramm des Iran, wurde 2015 in sieben Anklagepunkten der Spionage für schuldig befunden und zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt (http://t1p.de/qzvn). Das Geschworenengericht verurteilte ihn aufgrund zahlreicher E-Mails und Telefonate mit dem New-York-Times-Journalist James Risen, der 2006 in einem Buch unter anderem eine gescheiterte Geheimdienstaktion gegen Irans Atomprogramm geschildert hatte.

Im Prozess wurde jedoch kein Beweis erbracht, dass Sterling Risens Informant war. Der Inhalt der fraglichen E-Mails und Telefonate blieb größtenteils unbekannt, und Sterling beharrt bis heute auf seiner Unschuld. Das US-Justizministerium hatte Risen mehrfach, aber erfolglos mit Beugehaft gedroht, falls er seine Quelle nicht preisgebe. Somit wurde Sterling letztlich wegen des Umstands verurteilt, dass er regelmäßig in Kontakt mit einem Journalisten stand. Im vergangenen Februar übergab ROG dem Weißen Haus mehr als 150.000 Unterschriften für seine Begnadigung (http://t1p.de/xjre).

FELDZUG GEGEN WHISTLEBLOWER AUFGRUND SPIONAGEGESETZ VON 1917

Die juristische Verfolgung von Investigativjournalisten und Whistleblowern in den USA hat unter Obama besorgniserregende Ausmaße angenommen. In seiner Amtszeit wurden mindestens acht Whistleblower mit Hilfe eines Spionagegesetzes von 1917 angeklagt, das unter allen Regierungen zuvor in nur drei vergleichbaren Fällen zur Anwendung gekommen war (http://ogy.de/gth2, PDF). Auch dem NSA-Whistleblower Edward Snowden würde im Fall seiner Heimkehr aus dem Exil in Russland eine Anklage nach dem Spionagegesetz drohen.

Besonders deutlich wird die Härte der Urteile gegen Manning und Sterling im Vergleich mit früheren Whistleblowern. Daniel Ellsberg, der 1971 die sogenannten Pentagon-Papiere über den Vietnamkrieg an mehrere US-Medien weitergab, entging einer Verurteilung, weil sein Strafprozess aufgrund von Manipulationsversuchen der Regierung Nixon platzte (http://t1p.de/az1n). 2011 kam Thomas Drake, der Missmanagement und Verschwendung beim Geheimdienst NSA publik gemacht hatte, vor allem dank Verfahrensfehlern mit einer einjährigen Bewährungsstrafe für Zweckentfremdung eines Computersystems glimpflich davon (http://t1p.de/mk9a).

Der ehemalige CIA-Mitarbeiter John Kiriakou, der Reportern die Folterpraxis des simulierten Ertränkens (Waterboarding) bestätigt hatte, wurde 2013 zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt (http://t1p.de/yqbh). Reporter ohne Grenzen hat wegen solcher Fälle schon 2013 eigene Vorschläge für ein US-Bundesgesetz zum Informantenschutz vorgelegt (http://t1p.de/u11h).

In der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit haben sich die USA seit 2009 um 21 Plätze auf Rang 41 verschlechtert. Neben Obamas Feldzug gegen Whistleblower haben dazu die flächendeckende Überwachung durch US-Geheimdienste, eine zunehmend restriktive Handhabung von Anfragen nach dem US-Informationsfreiheitsgesetz (http://t1p.de/5kh3) sowie wiederholte Festnahmen von Reportern bei Demonstrationen beigetragen (http://t1p.de/bvo2; http://t1p.de/770c).

TRUMP KEILT AUCH NACH DER WAHL GEGEN MEDIEN

Die bisherigen Äußerungen und Handlungen von Trump und seinem Team lassen befürchten, dass sich dieser Negativtrend nach dem Wechsel im Weißen Haus verstärken könnte. Im Wahlkampf kündigte Trump an, Verleumdungsklagen gegen Medien wegen "absichtlich negativer" Berichte zu erleichtern (http://t1p.de/ybgp). Der Washington Post und mehreren weiteren Medien entzog er wegen kritischer Berichte die Presseakkreditierungen für seinen Wahlkampftross.

Monatelang befehdete Trump öffentlich die Fox-News-Moderatorin Megyn Kelly, die ihm bei einer Fernsehdebatte mit scharfen Fragen zugesetzt hatte. Kelly erhielt daraufhin zeitweise Morddrohungen und musste Personenschützer anheuern (http://t1p.de/6vf8). Per Twitter beschimpfte Trump im Wahlkampf laut einer Liste der New York Times rund 70 Journalisten und mehr als 20 Medien, viele von ihnen mehr- und vielfach (http://t1p.de/pe3u).

Am Tag nach seiner Wahl verweigerte Trump den Hauptstadtkorrespondenten in Washington die seit Jahrzehnten übliche Mitreise zum ersten Besuch bei seinem Amtsvorgänger im Weißen Haus (http://t1p.de/dil8). Einen Tag später bezichtigte er per Twitter die Medien, sie hätten "professionelle Demonstranten" zu Protesten gegen ihn angestachelt (http://t1p.de/ygiw).

In seinem ersten ausführlichen Fernsehinterview nach der Wahl kündigte Trump vergangenen Samstag an, sein Twitter-Konto weiterhin zu betreiben - damit er sich wehren könne, falls Medien schlecht über ihn berichteten (http://t1p.de/3rul). Tags darauf teilte er in drei Tweets gegen die New York Times aus und behauptete fälschlich, die Zeitung habe "wegen ihrer sehr schlechten und äußerst inkorrekten Berichterstattung" über ihn Tausende Abonnenten verloren (http://t1p.de/vc50).

Weitere Informationen zur Situation der Journalisten in den Vereinigten Staaten finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/usa.

Quelle: Reporter ohne Grenzen e.V. (ots)

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