ROG: Steinmeier muss auf Iran-Reise Repressionen gegen Journalisten benennen
Archivmeldung vom 01.02.2016
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 01.02.2016 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittReporter ohne Grenzen (ROG) fordert Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier auf, bei seinem Besuch im Iran in dieser Woche die gravierenden Verletzungen der Pressefreiheit in der Islamischen Republik öffentlich zu benennen.
"Präsident Hassan Rohani ist zwar als Reformer angetreten, aber tatsächlich ist die Lage für Journalisten in seiner Amtszeit kaum besser als unter seinem Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Spätestens jetzt, da das Land die wirtschaftlichen Früchte des Atomabkommens erntet, gibt es selbst nach iranischen Maßstäben keine Entschuldigung mehr für die unverminderten Repressionen gegen kritische Journalisten."
Allein seit Rohanis Wahl zum Präsidenten im Juni 2013 sind im Iran mindestens 50 Journalisten verhaftet worden. Einige von ihnen wurden zu langen Haftstrafen verurteilt, elf Zeitungen wurden geschlossen (http://t1p.de/fabm). Zensur der traditionellen Medien und des Internets ist tägliche Praxis. Viele Journalisten sitzen unter katastrophalen, teils lebensbedrohlichen Bedingungen im Gefängnis. Die jüngste Repressionswelle scheint darauf abzuzielen, vor der Parlamentswahl am 26. Februar kritische Journalisten und Medien vorbeugend einzuschüchtern.
VERHAFTUNGEN UND VERHÖRE IM VORFELD DER PARLAMENTSWAHL
Unter anderem kam jüngst die Journalistin Rihaneh Tabtabai ins Gefängnis, die für Reformzeitungen wie Schargh, Etemad und Bahar gearbeitet hat. Ein Revolutionsgericht hatte sie im November 2014 wegen Propaganda gegen die Regierung und Gefährdung der nationalen Sicherheit zu einem Jahr Haft sowie einem anschließenden zweijährigen Verbot journalistischer und politischer Tätigkeit verurteilt. Nachdem ein Berufungsgericht die Strafe nun bestätigte, wurde Tabtabai am 12. Januar verhaftet (http://t1p.de/lgr8). Es ist ihre vierte Verhaftung seit 2009.
Wenige Tage zuvor wurde Meisam Mohammadi in Haft genommen, ein ehemaliger politischer Redakteur der 2009 von den Behörden geschlossenen Tageszeitung Kalameh Sabas, die dem damaligen Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Mussawi gehört. Mohammadi war im Mai 2012 zu vier Jahren Haft sowie einem fünfjährigen Verbot journalistischer und politischer Betätigung verurteilt worden, konnte jedoch wegen des laufenden Berufungsverfahrens zunächst auf Kaution auf freiem Fuß bleiben. Kalameh-Sabas-Eingentümer Mussawi und der ehemalige Parlamentspräsident Mehdi Karubi, dem die geschlossene Zeitung Etemad Melli gehört, werden weiterhin ohne rechtliche Grundlage in Hausarrest gehalten.
Am 4. Januar wurde nach einer Razzia in seinen Wohnräumen Farsad Purmoradi festgenommen, der für verschiedene Medien in der Provinz Kermanshah arbeitet (http://t1p.de/px9o). Er hatte beim sozialen Netzwerk Telegram die Seite Kalaghnews gegründet, die über lokale Nachrichten und die Wahlvorbereitungen in der Region berichtet. Konservative, den Revolutionsgarden nahestehende Medien hatten ihn dafür scharf angegriffen. Vier weitere Journalisten - Afarine Chitsas (Iran), Ehssan Masandarani (Farhichteghan), Saman Safarsai (Andischer Poya) und Issa Saharkhis (freier Journalist) - werden seit dem 2. November von den Behörden festgehalten (http://t1p.de/aybn). Einige weitere wurden in den vergangenen Wochen zu Verhören vorgeladen.
REFORMZEITUNGEN GESCHLOSSEN, INTERNET ZENSIERT
Am 3. Januar gab die Justiz die Schließung der Reformzeitung Bahar bekannt (http://t1p.de/px9o). Als Begründung wurde Propaganda gegen die Regierung angegeben sowie die Veröffentlichung von Artikeln, die die Grundlagen der Islamischen Republik in Frage gestellt hätten. Die Zeitung war schon einmal im November 2013 geschlossen worden.
Anfang Dezember leitete die Teheraner Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen die älteste iranische Tageszeitung Ettelaat und deren Chefredakteur Mahmud Doaei ein (http://t1p.de/9o98). Ettelaat habe mit dem Nachdruck eines zuerst in einer libanesischen Zeitung veröffentlichten Interviews des früheren Präsidenten Mohammed Chatami gegen ein Verbot verstoßen.
Auch die Internetüberwachung und -zensur ist unter Präsident Hassan Rohani nur kosmetisch gelockert worden. Statt dem zuvor propagierten "nationalen Internet" ist nun von "intelligentem Filtern" der Inhalte die Rede. Das Ergebnis ist dennoch, dass Irans Bürger ohne technische Tricks nur selektiven, staatlich kontrollierten Zugang zum Internet und insbesondere zu den sozialen Netzwerken haben. Der Iran betreibt eines der weltweit ausgefeiltesten Systeme der Internetzensur und -überwachung.
SCHWER KRANKE INHAFTIERTE ERHALTEN KEINE ANGEMESSENE BEHANDLUNG
Besonders besorgniserregend ist die Situation einiger inhaftierter Medienschaffender, denen die Behörden trotz schwerer Gesundheitsprobleme eine angemessene medizinische Behandlung verweigern (http://t1p.de/m88a). Lebensbedrohlich ist etwa die Lage des Bürgerjournalisten Hossein Ronaghi Malki, der mehrere Nierenoperationen hinter sich hat. Er wurde ursprünglich im Dezember 2010 verhaftet und im vergangenen Juni aus Gesundheitsgründen gegen eine Kaution von rund einer halben Million Euro freigelassen. Am 20. Januar wurde er entgegen ärztlichem Rat wieder in Haft genommen, um seine 17-jährige Haftstrafe weiter zu verbüßen. Nach iranischem Strafrecht hätte er schon freigelassen werden müssen, da er seine Hauptstrafe verbüßt hat.
Der Journalist Said Rasawi Faghih wird seit Ende Februar 2014 festgehalten und hätte vergangenen März nach dem Ende einer einjährigen Haftstrafe freigelassen werden sollen. Stattdessen wurde er in einem unfairen Prozess zu weiteren dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, weil er Propaganda gegen die Regierung betrieben sowie Revolutionsführer Ali Chamenei und die Expertenversammlung beleidigt habe. Seit einer Herzoperation im Januar 2015 hat sich Faghihs Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Ende November erlitt er Schnittwunden im Gesicht, als in seiner Gefängnisabteilung zwei als gewalttätig bekannte Häftlinge mehrere politische Gefangene angriffen.
Das Berliner Nothilfereferat von Reporter ohne Grenzen hat sich 2015 in elf Fällen für verfolgte Journalisten aus dem Iran engagiert. Derzeit sind in dem Land mindestens 38 Journalisten und Blogger wegen ihrer Tätigkeit im Gefängnis. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Islamische Republik auf Platz 173 von 180 Staaten. Weitere Informationen zur Lage der Journalisten und Blogger im Iran finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/iran/.
Quelle: Reporter ohne Grenzen e.V. (ots)