Westerwelle: Keine Lösung im Streit mit der Türkei
Archivmeldung vom 22.06.2013
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAuch nach einem Gespräch von Bundesaußenminister Westerwelle mit seinem türkischen Amtskollegen Davutoglu ist der Streit zwischen beiden Regierungen noch nicht ausgeräumt. In einem Interview für das ARD-Hauptstadtstudio erklärte Westerwelle: "Die Spannungen kann man nicht leugnen. Wir sind alle bemüht, sie zu reduzieren und aus der Welt zu schaffen."
Seine Begegnung mit Davutoglu bezeichnet er als "gut und konstruktiv". Allerdings bestehe weiter Klärungsbedarf mit der türkischen Regierung: "Die Gespräche müssen noch weiter gehen. Wir sind mitten in diesen Verhandlungen."
Westerwelle mahnte beide Seiten zur Zurückhaltung: "Es ist nicht nur im Interesse der Türkei, es ist auch in unserem Interesse, dass der Dialog fortgesetzt wird." Von den weiteren Beratungen hänge es ab, wie Deutschland am Montag bei den Beratungen der EU über die Fortsetzung von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei votieren werde. Deutschland hatte am Donnerstag zusammen mit Holland ein Veto gegen die Aufnahme von Verhandlungen über ein neues Kapitel in den Beitrittsverhandlungen angekündigt. Daraufhin war es zu heftigen Reaktionen aus der türkischen Regierung gekommen.
Im Zuge der politischen Eskalation hatten am Freitag hatten sowohl Berlin als auch Ankara die Botschafter einbestellt.
Chef der Türkischen Gemeinde in Deutschland plädiert für EU-Beitritt der Türkei
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, hat dafür plädiert, trotz der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste in der Türkei und der jüngsten deutsch-türkischen Spannungen weiter auf einen Beitritt des Landes zur Europäischen Union hinzuarbeiten. "An dem Ziel des Beitritts darf sich nichts ändern", sagte er der "Mitteldeutschen Zeitung". "Man sollte beide Themen nicht miteinander verbinden." Die aktuelle Kritik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) an der Türkei sei allerdings richtig gewesen, so Kolat. "Die Regierung muss abrüsten. Das ist klar."
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz (CDU), erklärte der "Mitteldeutschen Zeitung": "Die Beitrittsverhandlungen sind ein Instrument, um die Verhältnisse in der Türkei zum Positiven zu verändern. Und auf dieses Instrument sollte man im Interesse der Türkei, aber auch in unserem Interesse nicht verzichten." Er widersprach damit dem Unionsfraktionsvorsitzenden Volker Kauder, der gestern mit einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen gedroht hatte. Die Einbestellung des türkischen Botschafters durch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) begrüßte Polenz indes. "Der Ton, zumal von einem türkischen Regierungsvertreter, geht nicht. Das muss man der Türkei auch in aller Deutlichkeit sagen."
Özdemir fordert Verhandlungen mit der Türkei über die Grundrechte
Der Grünen-Parteivorsitzende Cem Özdemir hält die Gewalt gegen Demonstranten in Istanbul für einen "Rückschlag im Verhältnis der Türkei zur Europäischen Union". Die Ereignisse hätten die "Entfremdung" zwischen beiden Seiten verstärkt, schreibt Özdemir in einem Beitrag für das Nachrichtenmagazin "Focus". Dennoch sei es gerade jetzt wichtig, "die Beitrittsperspektive als einen wichtigen Hebel der Demokratisierung aufrechtzuerhalten". Alles andere wäre "das falsche Signal" an die Protestierenden, "die ja gerade Teil Europas sein wollen". Vor allem in den Städten gebe es heute eine starke junge Generation, die sich nach Europa orientiere. "Sie bildet den Kern der Protestbewegung und bringt Erdogans Traum - eine Türkei nach dem Beispiel Singapurs oder Dubais mit liberalisierter Wirtschaft, autokratischer Herrschaft und staatlich gelenkten Medien - gerade zum Platzen." Auf dem Taksim-Platz bekomme man "eine Ahnung davon, wie die Türkei von morgen sein könnte, wenn der Staat seine Bürger so leben lassen würde, wie sie selbst gerne wollen". Brüssel solle deshalb mit der Türkei über Grundrechte und die Demokratisierung der Justiz verhandeln, schreibt Özdemir. Dann werde sich zeigen, wie ernst es Erdogan mit einem EU-Beitritt überhaupt meine. "Wenn er ihn mit seinem autokratischen Gebaren aufs Spiel setzt, dann wird auch seine eigene Partei das nicht achselzuckend hinnehmen."
Quelle: dts Nachrichtenagentur