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Ukraine: Reporter ohne Grenzen verurteilt Gewalt gegen Journalisten bei Protesten

Archivmeldung vom 22.01.2014

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 22.01.2014 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Doris Oppertshäuser
Ukraine: Demonstrationen auf dem Majdan Nesaleschnosti, Kiew
Ukraine: Demonstrationen auf dem Majdan Nesaleschnosti, Kiew

Foto: FlickreviewR
Lizenz: CC-BY-2.0
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Reporter ohne Grenzen (ROG) verurteilt die Welle der Gewalt gegen Journalisten bei den jüngsten Protesten in der Ukraine. Seit dem vergangenen Sonntag sind bei den Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften in Kiew mindestens 37 Journalisten und Medienmitarbeiter verletzt worden. Viele von ihnen berichteten, Polizisten hätten sie gezielt angegriffen. Die Proteste wurden zuletzt durch ein hastig verabschiedetes Gesetzespaket angefacht, das die Demonstrations-, Versammlungs- und Pressefreiheit einschränkt und das am Dienstag in Kraft getreten ist.

"Diese gezielten Angriffe auf Journalisten sind völlig inakzeptabel. Sie müssen sofort gestoppt und vollständig aufgeklärt werden", forderte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Die neue Protestwelle zeigt, wie verfehlt der Versuch von Präsident Viktor Janukowitsch ist, Kritik an seiner Politik durch weitere Einschränkungen der Meinungsfreiheit und anderer Grundrechte zu ersticken. Parlament und Präsident sollte diese repressiven Gesetze umgehend aufheben."

Die meisten Verletzungen sind auf Blendgranaten, Gummigeschosse oder den Einsatz anderer "nicht tödlicher" Waffen zurückzuführen. Pawlo Iwanow, ein Journalist der Ukrainischen Jugendinformationsagentur, wurde von vier Gummigeschossen getroffen. Drei davon blieben in seinem Schutzhelm stecken, das vierte drang in seinen Kopf ein. Auch den Kameramann Oleg Weremijenko vom Onlinesender Prichowana Prawda traf ein Gummigeschoss in den Kopf.

Der Kameramann Iwan Nakonetschni vom ukrainischen Fernsehsender 5 Kanal filmte, wie ein Polizist einer Spezialeinheit frontal in seine Kamera schoss (http://bit.ly/1jmZAPr). Ebenso erging es einem Journalisten des US-Auslandssenders Radio Liberty/Radio Svoboda (http://bit.ly/1hF7Y9Z).

Der Reporter Wiatscheslaw Weremij von der Zeitung Vesti und der Spilno.tv-Kameramann Janek Falkewitsch wurden von Blendgranaten im Gesicht verletzt. Beiden droht der Verlust jeweils eines Auges. Wolodimir Sintschenko, ein Kameramann des Senders ICTV, wurde von einem Gummigeschoss ins Auge getroffen. Ebenfalls ins Auge traf ein unbekanntes Geschoss den Journalisten Roman Malk vom Magazin Ukrainski Tischden. Stanislaw Grigoriew, Korrespondent des russischen Senders Ren-TV, wurde schwer am Bein verletzt, als vor laufender Kamera eine Blendgranate zu seinen Füßen explodierte (http://bit.ly/KFUKh5).

Für Verwirrung sorgte am Dienstag die kurzzeitige mutmaßliche Entführung des bekannten Bloggers und Protestanführers Ihor Luzenko. Am späten Abend meldete er sich via Facebook zurück und schilderte, wie er und ein weiterer Aktivist in den frühen Morgenstunden aus einem Krankenhaus verschleppt, aus der Stadt gefahren und von zehn Maskierten misshandelt worden seien (http://on.mash.to/1fbd0IY).

Die ukrainische ROG-Partnerorganisation Institut für Massenmedien (IMI) führt auf ihrer Webseite eine fortlaufend aktualisierte Liste der verletzten Journalisten (http://bit.ly/1aKrKvz). IMI-Leiterin Oksana Romanjuk, die auch Korrespondentin von ROG in der Ukraine ist, wurde am Wochenende im staatlichen Fernsehsender UT1 erneut als "ausländische Agentin" diffamiert. Sie ist nicht zum ersten Mal das Ziel von Einschüchterungen: Im vergangenen Herbst veröffentlichten Hacker ihre gesamte E-Mail-Korrespondenz sowie den Inhalt ihrer Computerfestplatte im Internet (http://bit.ly/1mrHGbz).

Der bekannte ukrainische Journalist Witalij Portnikow hat nach Drohungen das Land verlassen, wie die Internetzeitung Ukrainskaja Prawda am Dienstag berichtete (http://bit.ly/KFX4of). Nach einem Treffen mit Botschaftern der EU-Staaten habe er Drohungen erhalten, man werde einen "neuen Georgi Gongadse" aus ihm machen. Gongadse war der im September 2000 ermordete Herausgeber der Ukrainskaja Prawda (http://bit.ly/KEjqXP).

Die extreme politische Polarisierung in der ukrainischen Gesellschaft bekamen auch Mitarbeiter der Nachrichtenwebseite Nowosti Donbassa in der Region Donezk im Osten des Landes zu spüren, die die Proteste in Kiew aktiv verfolgt. Sie berichteten von zahlreichen "unzweideutigen" Drohungen, die sie in sozialen Netzwerken erhalten hätten (http://bit.ly/KFQXQR).

Das ukrainische Parlament hatte vergangene Woche in großer Eile ein Gesetzespaket verabschiedet, das viele der repressivsten russischen Neuerungen aus jüngster Zeit quasi kopiert. Insbesondere macht es Verleumdung - seit dem Jahr 2001 eine Sache der Zivilgerichte - wieder zur Straftat, auf die hohe Geldstrafen und bei erschwerenden Umständen bis zu zwei Jahren Haft stehen. Einen ersten Versuch, diesen Rückfall der Ukraine in überwunden geglaubte Zeiten abzuwenden, hatten Proteste der ukrainischen Zivilgesellschaft und des Auslands im Oktober 2012 knapp abwenden können.

Zu den Neuerungen gehört auch ein nebulöser Extremismusparagraf, der das Sammeln und Verbreiten persönlicher Informationen über Richter, Polizisten und Mitglieder von Sondereinheiten der Sicherheitskräfte mit bis zu drei Jahren Haft bedroht (http://bit.ly/1dBQvjn). Internetmedien müssen sich künftig registrieren lassen und können von einer vom Präsidenten eingesetzten Kommission gesperrt werden, falls sie "illegale" Informationen verbreiten (http://bit.ly/1jyyliu). Ukraine Journalistenorganisationen haben in scharfer Form gegen das Gesetzespaket protestiert (http://bit.ly/1jn6sMP).

Unter Präsident Viktor Janukowitsch hat sich die Position der Ukraine auf der weltweiten ROG-Rangliste der Pressefreiheit deutlich verschlechtert: von Platz 89 im Jahr 2009 auf derzeit Platz 126. Dies liegt auch daran, dass Journalisten immer wieder gewalttätig angegriffen und diese Fälle in den seltensten Fällen aufgeklärt werden. Die einflussreichsten Medien des Landes gehören Politikern oder Geschäftsleuten und berichten kaum ausgewogen (http://bit.ly/1iOWc0o).

Quelle: Reporter ohne Grenzen e.V. (ots)

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