Interview der Leipziger Volkszeitung: Sammar-Anwältin Gül Panir: "Wir sind die ganze Zeit belogen worden"
Archivmeldung vom 17.12.2005
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 17.12.2005 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Anwältin von Mohammed Sammar, Gül Pinar, wirft dem Auswärtigen Amt Betrug vor: Immer wieder wurde ihr dort beschieden, nichts von ihrem Mandanten zu wissen - dabei haben BKA-Beamte den unter Terrorverdacht stehenden Sammar bereits 2002 in Syrien vernommen.
Frage: Haben Sie Kontakt zu Mohammed Sammar?
Gül Pinar: Nein. Ich versuche seit über einem Jahr, Kontakt zu
bekommen. Seit März 2005 weiß ich sicher, dass mein Mandant sich in
Syrien befindet. Aber ich habe vom Auswärtigen Amt auch dann immer
nur die gleiche Antwort bekommen: Dass man leider nichts tun könne,
weil Syrien nicht kooperativ ist.
Das Auswärtige Amt hat Ihnen gesagt, dass keine Informationen
vorliegen?
Bis nachweislich feststand, dass mein Mandant in einem syrischen
Gefängnis ist.
Es gab aber schon einen Kontakt des BKA im Jahr 2002.
Genau das ist der Punkt. Während die Familie jahrelang nach Mohammed
Sammar suchte und offizielle Stellen um Hilfe gebeten hat, aber immer
hingehalten wurde, hatten deutsche Beamte Kontakt zu ihm. Die Familie
und auch ich, die dieser Vermisstensache juristisch nachgeht, sind
die ganze Zeit belogen worden.
Das sind schwere Vorwürfe.
Wir wurden bewusst an der Nase herumgeführt und in Unwissenheit
gehalten. Jetzt ist zu klären, wieviel wer wusste und inwiefern die
Beamten, die meinen Mandanten in Syrien vernommen haben, seine
hilflose Lage ausgenutzt haben. Letztlich können strafbare Handlungen
wie psychische Beihilfe begangen worden sein.
Wollen Sie die Beamten anzeigen?
Dafür brauchen wir mehr Informationen. Im Moment geht es darum, zu
erfahren, wie es ihm geht und was genau passiert ist. Wir wissen so
gut wie nichts von ihm. Allein, dass er nur noch Haut und Knochen ist
und in einem Erdloch gefangen gehalten wird.
Amnesty International kann offenbar beweisen, dass Sammar gefoltert
wurde.
Ja, ein Mitgefangener ist entlassen worden und hat ausgesagt.
Bundesinnenminister Schäuble sagt dagegen, es gebe keinen
Anhaltspunkt dafür, dass das BKA "von Verhaltensweisen profitiert
hat, die man als Folter bezeichnen könnte".
Das ist ein Witz. Es ist doch nicht ernsthaft zu erwarten, dass
Folter in den Akten festgehalten wird. Allein, dass Mohammed Sammar
beispielsweise nicht in den USA festgehalten wird, sondern an einen
Ort gebracht wurde, auf den wir keinen Zugriff haben, ist ein
deutliches Anzeichen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Es wäre die
Aufgabe der BKA-Beamten gewesen, auch die äußeren Umstände seiner
Haft in Syrien zu hinterfragen. Wenn das nicht gemacht wurde, ist das
bereits eine pflichtwidrige Vernehmung. Was die Folter-Diskussion
angeht, sind wir ins Mittelalter zurückgekehrt - Erkenntnisse, die
durch Folter gewonnen wurden, sind in einem Strafverfahren absolut
wertlos.
Rechnen Sie damit, dass Sammar nach Deutschland zurück darf?
Ich möchte zunächst erst einmal wissen, weshalb er in Syrien
festgehalten wird - denn dafür liegt kein Haftbefehl vor. Es gibt
zwar ein deutsches Strafverfahren, aber deswegen wird er in Syrien
nicht festgehalten. Dann müssen wir die Schritte prüfen, wie man ihn
nach Deutschland holen kann. Im Rahmen der Rechtshilfe müssten die
deutschen Stellen zumindest versuchen, ihn hierher zu bringen und ein
rechtsstaatliches Verfahren durchzuführen.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung