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Reporter ohne Grenzen: Türkische Journalisten nicht ins Asylverfahren treiben

Archivmeldung vom 09.11.2016

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 09.11.2016 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Logo - Reporter ohne Grenzen e.V.
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Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert die Bundesregierung auf, bei der Visavergabe an verfolgte türkische Journalisten keine vermeidbaren bürokratischen Hürden zu errichten. "Es kann nicht sein, dass türkische Journalisten ungewollt in ein Asylverfahren getrieben werden, weil deutsche Behörden ihnen als einzige Alternative die Rückreise in ihre Heimat und damit direkt in die Arme einer Willkürjustiz lassen", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Bei der Visavergabe ist dringend mehr Flexibilität nötig, um den Bedürfnissen politisch verfolgter Journalisten gerecht zu werden. Hier könnten Deutschlands diplomatische Vertretungen deutlich mehr tun."

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, hatte in einem am Dienstag veröffentlichten Zeitungsinterview ein wichtiges politisches Signal gesetzt und betont: "Alle kritischen Geister in der Türkei sollen wissen, dass die Bundesregierung ihnen solidarisch beisteht." Auf die Frage nach der Aufnahme verfolgter Politiker, Journalisten oder Künstler verwies auf das Grundrecht auf Asyl: "Deutschland ist ein weltoffenes Land und steht allen politisch Verfolgten im Grundsatz offen. Sie können in Deutschland Asyl beantragen. Das gilt dezidiert nicht nur für Journalisten. Dafür gibt es unser Recht auf Asyl." (http://t1p.de/5r5z)

Der wichtige Hinweis auf das Asylrecht geht jedoch weitgehend an den Bedürfnissen der betroffenen Journalisten vorbei: Die weitaus meisten der türkischen Medienschaffenden, die sich mit der Bitte um Zuflucht in Deutschland an Reporter ohne Grenzen wenden, wollen weder politisches Asyl noch dauerhaft im Ausland bleiben. Ihnen geht es vielmehr um vorübergehende Zuflucht, bis sich die politische Situation in der Türkei beruhigt hat - und vor allem darum, ihre journalistische Arbeit fortzusetzen. Würden sie politisches Asyl beantragen, könnten sie jedoch während eines Verfahrens von ungewisser Dauer nur sehr schwer eine Arbeit aufnehmen und wären in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt.

BENÖTIGT WERDEN AUFENTHALTSGENEHMIGUNGEN ALS FREIER JOURNALIST

Sinnvoller ist für diesen Personenkreis deshalb eine Aufenthaltsgenehmigung aufgrund der Arbeit als freier Journalist, die automatisch mit einer Arbeitsgenehmigung verbunden ist. Zudem ist in vielen Fällen schnelles Handeln entscheidend, da Justiz und Behörden in der Türkei derzeit fast täglich Journalisten oder deren Angehörige festnehmen, sie mit Verwaltungssanktionen wie Ausreisesperren oder der Annullierung von Reisepässen belegen und in vielen Fällen vor Gericht bringen. In der Praxis errichten die deutschen Behörden jedoch immer wieder zusätzliche Hürden nicht zuletzt für geflohene Journalisten, die sich bereits in Deutschland aufhalten.

Unter den von ROG betreuten Fällen ist etwa ein Journalist, der zunächst mit einem Touristenvisum nach Deutschland gekommen ist und angesichts der Repressionswelle in seiner Heimat nun einen neuen Aufenthaltstitel für einen längeren Aufenthalt benötigt. Gemäß dem üblichen Verfahrensweg müsste er zunächst in die Türkei zurückreisen und dort bei einer deutschen Auslandsvertretung eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen - obwohl ihm in seiner Heimat die reale Gefahr einer Festnahme aufgrund seiner journalistischen Arbeit droht. Dabei läge es im Ermessen der zuständigen Ausländerbehörde, die Aufenthaltsgenehmigung auch in Deutschland zu erteilen.

In einem anderen Fall hat ROG eine von Repressalien bedrohte Journalistin offiziell nach Deutschland eingeladen und die Bereitschaft zur Kostenübernahme für ihren Aufenthalt erklärt. Nun hat das deutsche Konsulat in Istanbul - entgegen der Praxis in vergleichbaren von ROG betreuten Fällen - zusätzliche Auflagen für die Visumerteilung gemacht und verlangt, die Antragstellerin müsse neben einem Rückflugticket auch eine Hotelbuchung vorlegen.

Das Nothilfereferat von Reporter ohne Grenzen in Berlin steht derzeit mit mehr als einem Dutzend Journalisten aus der Türkei über die Möglichkeit eines sicheren Aufenthalts in Deutschland in Kontakt. Daneben leistet ROG Hilfe vor Ort etwa durch Anwaltskosten für inhaftierte Medienschaffende.

DEUTSCHE BOTSCHAFTEN VERWEISEN VERFOLGTE AUF ANTRAGSTELLUNG IN DER HEIMAT

Immer wieder fliehen Journalisten - nicht nur aus der Türkei - auf der Flucht vor Verfolgung zunächst in andere Staaten, in denen sie aber keine Aussicht auf einen längeren legalen Aufenthalt haben. Auch in solchen Fällen haben deutsche Botschaften ungeachtet der offensichtlichen Gefahren für die Betroffenen beispielsweise auf das übliche Verfahren verwiesen, zur Beantragung eines deutschen Aufenthaltstitels zurück ins Heimatland zu reisen.

In einem Fall verweigerte eine Botschaft trotz Erfüllung sämtlicher Voraussetzungen ein Visum für ein Stipendienprogramm in Deutschland, weil sie Zweifel an der Rückkehrbereitschaft der Antragstellerin hegte. Nötig ist auch hier mehr Flexibilität: Die Botschaften sollten sich in solchen Ausnahmefällen selbst für die Visumerteilung zuständig erklären.

Eine wertvolle Ergänzung könnten auch zusätzliche Austausch- oder Stipendienprogramme für türkische Journalisten sein, mit deren Hilfe sich von Verfolgung bedrohte Journalisten wie derzeit in der Türkei zumindest kurzfristig der Repression in ihrem Heimatland entziehen könnten. Entsprechende Überlegungen, wie sie Staatsminister Roth in dem Zeitungsinterview angedeutet hat, sind aus Sicht von ROG zu begrüßen.

PROZESS GEGEN ROG-KORRESPONDENT IN DER TÜRKEI VERTAGT

Neben Dutzenden Journalisten steht in der Türkei derzeit auch der ROG-Korrespondent Erol Önderoglu vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm wegen der Teilnahme an einer Solidaritätsaktion mit der pro-kurdischen Zeitung Özgür Gündem "Propaganda für eine terroristische Organisation" vor (http://t1p.de/t9gw). Zu Prozessbeginn wies Önderoglu am Dienstag die Anschuldigungen zurück und betonte, er habe nur sein Recht auf Meinungsfreiheit ausgeübt. Den Antrag der Verteidigung, die Anklage fallen zu lassen, lehnte das Gericht ab (http://t1p.de/8pp4). Der Prozess wird am 11. Januar fortgesetzt.

Mehr zur Arbeit des ROG-Referats für Nothilfe und Flüchtlingsarbeit finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/hilfe-schutz/nothilfe/, mehr zur Lage der Journalisten in der Türkei unter www.reporter-ohne-grenzen.de/türkei.

Quelle: Reporter ohne Grenzen e.V. (ots)

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