Kompetenzstreit: EuGH-Präsident fordert Zurückhaltung von Karlsruhe
Archivmeldung vom 17.12.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Präsident des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Vasilios Skouris, hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe im Kompetenzstreit beider Gerichte zu größerer Zurückhaltung aufgerufen. "Es geht nicht um Konkurrenz, sondern um Kooperation", sagte Skouris der "Welt" (Dienstagausgabe). "Bei allem Selbstbewusstsein bezüglich der eigenen Kompetenzen: Das Beste wird sein, dass jeder die Zuständigkeiten des anderen respektiert und aufeinander Rücksicht nimmt."
Der EuGH-Präsident reagierte damit auf den in mehreren Urteilen Karlsruhes formulierten Grundsatz, dass sich die deutschen Richter die Letztkontrolle über "ausbrechende Rechtsakte" der Europäischen Union und damit auch des EuGH vorbehalten. Er glaube, "dass es nicht gut tut, diese Punkte besonders hervorzuheben. Ich tue es nicht", sagte Skouris. Europas oberster Richter zeigte sich in diesem Zusammenhang zuversichtlich, dass Karlsruhe niemals ein Urteil des EuGH kassieren wird: "Man wird einem Gericht nie vorwerfen können, dass es ultra vires urteilt, also über jegliche Grenze seiner Befugnisse hinaus. Dazu wird es nicht kommen." Aus Sicht des EuGH stehe fest, "dass die nationalen Gerichte das erste Wort haben. Also in Deutschland Karlsruhe."
Der EuGH habe die Kompetenz, dass Unionsrecht auszulegen - "aber nicht, es aufzuzwingen. Wir geben eine Antwort auf die Frage des nationalen Gerichts, das unsere Antwort dann umsetzt in seine eigenen Entscheidungen." Der 64-jährige Grieche, der dem EuGH seit 2003 als Präsident vorsitzt, riet seinen deutschen Kollegen zudem zu mehr öffentlicher Zurückhaltung im Vorfeld von Entscheidungen. "Richter sind keine Kommentatoren sich anbahnender Rechtsentwicklungen", sagte Skouris. "Es ist gefährlich, wenn Richter sich frühzeitig binden. Ich habe gelernt: Selbst wenn ich einen ersten Eindruck von einem Fall habe, ändere ich gar nicht so selten meine Meinung durch Beratung mit den Kollegen." Der Bürger müsse von einem Richter erwarten können, "dass er bis zum Urteil aufgeschlossen ist".
Für den EuGH gelte bezüglich der Teilnahme am öffentlichen Diskurs: "Wir tun dies nicht." Skouris kritisierte auch die aus seiner Sicht überzogene Berichterstattung der deutschen Medien über das Bundesverfassungsgericht. "Medialer Rummel tut einem Gericht nicht gut", sagte Skouris. "Es ist wichtig, dass wir unsere Arbeit tun können, auch unter Beobachtung der Medien - aber bitte nicht in der Form, dass es in den Zeitungen heißt: Morgen wird über das Schicksal Europas entschieden." Das stimme nicht und sei eine ungeheuerliche Belastung für die Richter: "Deshalb beneide ich die deutschen Kollegen nicht."
Sein Verhältnis zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, beschrieb Skouris nüchtern. Er schätze Voßkuhle als "Kollegen, der sein Haus sehr gut repräsentiert. Ich hatte einige Male die Gelegenheit, mit ihm in einen Diskurs zu treten, und das wird sicher auch in Zukunft nicht ausbleiben." Mit Voßkuhles Vorgänger Hans-Jürgen Papier dagegen sei er "befreundet. Wir waren zusammen an den Universitäten in Berlin und in Bielefeld tätig, wir treffen uns auch privat."
Skouris ist seit 1999 Richter am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, an den jedes Mitgliedsland der EU einen Richter entsendet. Im Oktober wurde er zuletzt als Vorsitzender wiedergewählt, seine Amtszeit währt bis 2015.
Quelle: dts Nachrichtenagentur