Spionageverdacht: Türkische Polizei verhaftet Anwalt des Auswärtigen Amts
Archivmeldung vom 20.11.2019
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 20.11.2019 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch André OttNach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung hat die türkische Polizei einen Anwalt festgenommen, der für das Auswärtige Amt die Angaben von Asylsuchenden aus der Türkei überprüft hat. Dabei stellte die türkischen Polizei offenbar Hunderte Akten über Asylbewerbungen in Deutschland sicher. Deutsche Sicherheitsbehörden sind alarmiert.
Festnahme in Ankara
Nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung wurde der türkische Anwalt Yilmaz S. bereits am 17. September in Ankara festgenommen. Der Jurist soll sich auf dem Weg in die deutsche Botschaft befunden haben. Türkische Zeitungen hatten berichtet, Yilmaz S. würden "Verbindungen zu einer Terrororganisation" vorgeworfen. Doch nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung erhebt die zuständige Staatsanwaltschaft einen anderen Vorwurf: Spionage für Deutschland. Ein möglicher Hintergrund könnte sein, dass Yilmaz S. in der Vergangenheit als so genannter Kooperationsanwalt für das Auswärtige Amt gearbeitet hat. Kooperationsanwälte sollen vor Ort Angaben überprüfen, die Asylbewerber gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) machen. So soll kontrolliert werden, ob tatsächlich ein Asylgrund vorliegt.
"Im September 2019 wurde ein für die deutsche Botschaft in Ankara tätiger Kooperationsanwalt von türkischen Strafverfolgungsbehörden verhaftet und in Untersuchungshaft genommen", bestätigte ein Sprecher des BAMF auf Nachfrage. Es sei davon auszugehen, dass auch Unterlagen mit Informationen zu Vorgängen von Personen in anhängigen Asylverfahren enthielten, in die Hände der türkischen Behörden gelangt seien. "Die Betroffenen wurden bereits oder werden zeitnah persönlich über die Situation informiert", sagte der Sprecher weiter. Der Anwalt eines Betroffenen, Dündar Kelloglu, erhebt gegenüber NDR WDR SZ Vorwürfe. "Es ist ein Skandal, dass Deutschland die Flüchtlinge hier nicht ausreichend geschützt hat. Tausende Anfragen wurden durch das BAMF an das Auswärtige Amt gestellt. Dadurch wurden Tausende Flüchtlinge durch deutsche Behörden einer Gefahr ausgesetzt."
Recherche als Spionage?
Im Rahmen der Überprüfung von Aussagen Asylsuchender nutzen türkische Kooperationsanwälte auch das so genannte UYAP-System. Bei der vom türkischen Justizministerium betriebenen Plattform können registrierte Nutzer zum Beispiel Einblicke in laufende Strafverfahren nehmen. So ist für auch für deutsche Behörden nachvollziehbar, ob Menschen, die in Deutschland Asyl suchen, tatsächlich von einem Strafverfahren in der Türkei bedroht sind. Die Nutzung dieses Systems im Auftrag des Auswärtigen Amts könnte Yilmaz S. jetzt zum Verhängnis geworden sein - die türkischen Behörden könnten dies als Ausspähmaßnahme werten.
"Wir setzen uns intensiv für eine Klärung der Vorwürfe und eine Aufhebung der Untersuchungshaft ein", heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Der festgenommene Anwalt habe für die Deutsche Botschaft eine "international übliche und unstrittig zulässige Unterstützung" geleistet. "Die Inhaftierung ist für uns daher nicht nachvollziehbar." Eine konsularische Betreuung sei allerdings nicht möglich, da es sich bei dem Juristen nicht um einen deutschen Staatsbürger handelt.
Deutsche Sicherheitsbehörde warnen türkische Oppositionelle
Der Fall schlägt indes Wellen bis nach Deutschland. Bei seiner Verhaftung soll Yilmaz S. einige Dutzend Akten von Menschen bei sich getragen haben, die Asyl in Deutschland beantragt haben. Nach seiner Verhaftung wurde zudem seine Kanzlei durchsucht. Die Polizei könnte bei der Durchsuchung bis zu 280 entsprechende Akten beschlagnahmt haben. Deutsche Sicherheitsbehörden haben mittlerweile mehrere in Deutschland lebende Asylsuchende informiert, dass ihre Namen und möglicherweise weitere Informationen nun den türkischen Behörden bekannt sein könnten. Bei den Betroffenen handelt sich mehrheitlich um kurdische Aktivisten und Anhänger der Gülen-Bewegung.
Quelle: NDR Norddeutscher Rundfunk (ots)