Historiker Hans-Ulrich Wehler: "Europa und Deutschland stehen vor einer Demokratiekrise"
Archivmeldung vom 14.05.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler sieht Europa und Deutschland nach der Finanz- und Staatenkrise vor einer Demokratiekrise stehen. Krise. Die Krise "bewegt sich in einem galoppierenden Tempo über eine Finanz- zur Staatenkrise mit Griechenland hin zur Demokratiekrise", sagte Wehler dem "Kölner Stadt-Anzeiger".
"Der Hilfsfonds spitzt sie noch weiter zu. In einer solchen Situation ist es ungeheuer wichtig, dass man eine Diskussion führt und dem Bürger die Wahrheit sagt", sagte Wehler, der auf eine Erosion der Vertrauensbasis verweist, auf welcher die Politik in demokratischen Staaten fuße. "Wenn diese Vertrauensbasis erst einmal erodiert", so Wehler, Verfasser der fünfbändigen "Deutschen Gesellschaftsgeschichte", "dann schrumpelt die gesamte Legitimationsbasis". Europa und der deutschen Regierung wirft er Tatenlosigkeit im Kampf um eine Regulierung des Finanzsektors vor: "In Europa, und das ist Erstaunliche und zugleich Enttäuschende, tut sich hier rein gar nichts. Die deutsche Regierung traut sich nicht, das Bankgewerbe einer solchen Kontrolle zu unterwerfen." Wenn zwei Jahre nach Beginn der größten Krise, welche die westliche Welt bislang erlebt habe, immer noch keine Regulierungen für den Finanzsektor eingeführt wurden, zeige sich, so Wehler, "das große Dilemma mit aller Deutlichkeit: Nämlich ob dieser Staat noch von der Bankenwelt unabhängig handlungsfähig ist".
Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger