ROG kritisiert zehnjährige Haftstrafe für iranische Journalistin Narges Mohammadi
Archivmeldung vom 19.05.2016
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittReporter ohne Grenzen (ROG) ist empört über die zehnjährige Haftstrafe für die schwer kranke iranische Journalistin und Menschenrechtsverteidigerin Narges Mohammadi. Ihre Familie wurde am gestrigen Mittwoch über das Urteil des Teheraner Revolutionsgerichts informiert (http://t1p.de/9ufu). Mohammadi ist als Sprecherin des von Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi gegründeten Zentrums für Menschenrechtsverteidiger bekannt und schon mehrmals inhaftiert gewesen. Aktuell ist sie seit Anfang Mai 2015 im Gefängnis, wo ihr eine angemessene Behandlung ihrer schweren neurologischen Erkrankung verweigert wird.
"Narges Mohammadi gehört in eine Spezialklinik und nicht in ein Gefängnis. Jeder einzelne Tag, den sie in Haft verbringt, ist ein Akt der Unmenschlichkeit", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Dieses Urteil ist ein klarer Versuch der Einschüchterung gegen alle, die unabhängige Informationen über Irans Menschenrechtsverletzungen verbreiten."
Das Gericht verurteilte Mohammadi zu fünf Jahren Haft für "Verschwörung gegen die Islamische Republik", zu einem Jahr Haft für "Propaganda gegen die Regierung" und zu zehn Jahren Haft wegen Mitarbeit an einer verbotenen Kampagne zur Abschaffung der Todesstrafe im Iran. Nach iranischem Recht muss bei einer Verurteilung zu mehreren Haftstrafen nur die höchste verbüßt werden, so dass sich Mohammadis Strafe effektiv auf zehn Jahre Gefängnis beläuft.
Nach einer Verhaftung 2010 hatte Mohammadi infolge einer Serie von Verhören einen psychischen Zusammenbruch erlitten und musste mit einer Muskellähmung ins Krankenhaus eingeliefert werden. Drei Monate nach einer weiteren Verhaftung 2012 wurde sie auf Kaution entlassen, um sich einer dringend nötigen medizinischen Behandlung zu unterziehen. Seitdem war sie ständigen Schikanen von Justiz und Geheimdienst ausgesetzt.
Nach Angaben ihres im französischen Exil lebenden Ehemanns hat Mohammadi im Gefängnis keinen regelmäßigen Zugang zu Medikamenten. Vergangenen Oktober verbrachte sie einen zehntägigen Krankenhausaufenthalt in Handschellen ans Bett gefesselt und wurde schließlich gegen ärztlichen Rat wieder ins Gefängnis verlegt. Kontakt zu ihrem Mann oder ihren Kindern wurde ihr in jüngerer Zeit weitgehend verweigert (http://t1p.de/x3w5, http://t1p.de/mwgb).
WILLKÜRLICHE VERHAFTUNGEN SIND AN DER TAGESORDNUNG
Willkürliche Verhaftungen von Journalisten und Bloggern sind im Iran unverändert an der Tagesordnung. Das Berliner Nothilfereferat von Reporter ohne Grenzen engagierte sich allein 2015 in elf Fällen für verfolgte Journalisten aus dem Iran.
Zu den besonders besorgniserregenden Fällen gehört momentan der des Online-Journalisten ARASCH SAD. Der Chefredakteur der Online-Publikation Weblogina und der bekannten Technologie-Website Arashzad.net wurde am 31. Juli 2015 kurz vor seinem geplanten Abflug vom Flughafen Teheran vom Geheimdienst der Revolutionswächter festgenommen und wird seitdem an unbekanntem Ort festgehalten (http://t1p.de/7blt). Auch über die Gründe seiner Festnahme ist nichts bekannt. Sad hatte zuletzt seit zwei Jahren in der Türkei gewohnt, war aber im iranischen Cyberspace sehr aktiv. Er arbeitete auch für Ladybug, eine Webseite, die sich für mehr Frauen in der IT-Branche einsetzt.
Keine Informationen gibt es auch über den Verbleib von OMID SOLIMANI, der für die kurdische Publikation Nawal Waght arbeitet. Am 12. Mai wurde er von Geheimdienstmitarbeitern in Zivilkleidung in der Stadt Sanandadsch festgenommen.
Eine offizielle Begründung fehlt auch für die Verhaftung von MEHDI BOTURABI, dem Chefredakteur von Irans beliebtester Blog-Plattform Persianblog.ir. Die Behörden halten ihn fest, seit er einer Vorladung zu einem Termin bei der Teheraner Generalstaatsanwaltschaft Folge leistete. Verwandten zufolge wurde ihm gesagt, er sei in Abwesenheit verurteilt worden. Boturabi war schon einmal während der Protestwelle gegen die umstrittene Präsidentenwahl 2009 verhaftet worden.
VIELEN HÄFTLINGEN WIRD MEDIZINISCHE VERSORGUNG VORENTHALTEN
Auch die Verweigerung einer angemessenen medizinischen Versorgung in Haft wie im Fall der nun verurteilten Narges Mohammadi ist kein Einzelfall. Anlass zu besonderer Sorge gibt aktuell etwa der Gesundheitszustand von MOHAMMAD SADEGH KABODWAND, dem ehemaligen Chefredakteur der 2004 verbotenen Zeitung Pajam-e mardom-e Kurdestan. 2007 wurde er wegen seiner journalistischen Arbeit und der Gründung einer Menschenrechtsgruppe zu insgesamt elf Jahren Haft verurteilt, müsste aber nach iranischem Strafrecht schon wieder frei sein.
Im Gefängnis hat sich Kabodwands Gesundheitszustand verschlechtert; er leidet unter Herzproblemen, die nicht adäquat behandelt werden. Bei einer Untersuchung wurde kürzlich außerdem eine vergrößerte Prostata festgestellt. Vor elf Tagen begann er einen Hungerstreik gegen seine fortgesetzte Inhaftierung und gegen Schikanen der Justiz, die ihm in jüngster Zeit wiederholt neue Anschuldigungen in Aussicht gestellt hat (http://t1p.de/7blt).
Anfang März beendete der prominente Reformjournalist ISSA SAHARKHIS seinen dritten Hungerstreik dagegen, dass ihm trotz Bluthochdruck sowie schwerer Nieren- und Herzprobleme in Haft eine angemessene medizinische Versorgung verweigert wird (http://t1p.de/mwgb, http://t1p.de/zinb).
Dem Blogger HOSSEIN RONAGHI MALEKI erteilte die Teheraner Staatsanwaltschaft am 4. Mai aus medizinischen Gründen eine einmonatige Haftverschonung gegen eine Kaution von umgerechnet 220.000 Euro (http://t1p.de/8cje). Maleki verbüßt eine 15-jährige Haftstrafe. Die Justiz wirft ihm vor, Software zur Umgehung der Internetzensur entwickelt sowie Menschenrechtswebsites und -blogs unterstützt zu haben. Obwohl Malekis Gesundheitszustand nach mehreren Nierenoperationen lebensbedrohlich ist, war ihm bislang eine angemessene medizinische Versorgung verweigert worden (http://t1p.de/mwgb). Aus Protest dagegen hatte Maleki am 26. März einen Hungerstreik begonnen.
MINDESTENS 30 JOURNALISTEN UND BLOGGER IN HAFT
Insgesamt sind im Iran mindestens 30 Journalisten und Blogger wegen ihrer Tätigkeit in Haft. Damit gehört die Islamische Republik zu den Ländern mit den meisten inhaftierten Medienschaffenden weltweit. Nicht weniger als neun Institutionen sind im Widerspruch zu Artikel 24 der iranischen Verfassung mit der Zensur von Medienveröffentlichungen befasst. Seit der Wahl Hassan Rohanis zum Präsident im Jahr 2013 wurden mindestens elf Zeitungen geschlossen. Der Iran betreibt eines der weltweit ausgefeiltesten Systeme der Internetzensur und -überwachung.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht das Land auf Platz 169 von 180 Staaten. Weitere Informationen zur Lage der Journalisten und Blogger im Iran finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/iran/.
Quelle: Reporter ohne Grenzen e.V. (ots)