Zensur im Vorfeld der Wahlen in Russland: ROG verurteilt Eingriffe in die Pressefreiheit
Archivmeldung vom 02.12.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittReporter ohne Grenzen (ROG) kritisiert Zensurmaßnahmen im Vorfeld der Parlamentswahl am 4. Dezember in Russland. In einigen Fällen wurde Druck auf Redaktionen ausgeübt, keine Artikel mit Kritik an Premierminister Wladimir Putin zu veröffentlichen. Mindestens drei populäre regionale Online-Foren wurden geschlossen oder dort veröffentlichte politische Inhalte entfernt. Der Verkauf einer lokalen, unabhängigen Zeitung wurde verhindert.
Die zensorischen Eingriffe seien auch in Hinsicht auf die Präsidentschaftswahl am 4. März 2012 beunruhigend, so ROG. Die Kontrollen zielten offenbar darauf ab, Putins Favoritenposition abzusichern. ROG appelliert an die russischen Behörden, die Medien- und Informationsfreiheit zu respektieren, und warnt vor Beschränkungen einer notwendigen öffentlichen politischen Debatte.
Auf der anderen Seite bewertet ROG eine neue Entwicklung der russischen Gesetzeslage zunächst als positiv: Am 17. November beschloss die Duma mehrere Änderungen des Strafgesetzes. Die neuen Bestimmungen versprechen einen besseren Schutz von Journalisten in dem Land. Abzuwarten bliebe jedoch die Anwendung und Auslegung der Gesetze durch die Gerichte, so ROG.
Einige Zensurmaßnahmen stehen im Kontext der Warnung des russischen Regierungschefs an westliche Staaten, sich nicht in die Wahlen einzumischen. So wurden Redakteure der Nachrichtenseite "Inosmi" - eine Tochter der staatlichen Nachrichtenagentur "Ria Nowosti" - von ihrem Management per Mail aufgefordert, keine Artikel mit Kritik an Putin oder der regierenden Partei "Einiges Russland" online zu veröffentlichen. "Inosmi" ist darauf spezialisiert, ausländische Artikel ins Russische zu übersetzen. Redaktionsmitglied Grigori Ochotin machte eine entsprechende E-Mail am 26. November öffentlich und kündigte anschließend seine Stelle. Möglicherweise steckt hinter der internen Anweisung eine Anordnung der Behörden. Ein Sprecher von "Ria Nowosti" wies Anschuldigungen einer Zensur zurück.
Am 30. November trat ebenfalls der stellvertretende Chefredakteur der Onlinezeitung "gazeta.ru", Roman Badanin, zurück, nachdem die Herausgeber und Geschäftsführung des Mediums ihre Unzufriedenheit mit der Berichterstattung im Vorfeld der Wahlen geäußert hatten. Badanin hatte namentlich gegen die Entfernung einer interaktiven Karte mit landesweiten Wahlkampf-Verstößen Einspruch erhoben.
Darüber hinaus traten drei Manager von "Radio Abakan" - Partner von Radio "Echo Moskau" in der südsibirischen Republik Chakassien - zurück. Damit reagierten sie auf Anweisungen des Besitzers der Radiostation, das Programm nach Beschwerden über eine unvorteilhafte Positionierung eines Beitrags zur Kandidatur Putins umzustellen.
Seit Beginn des Monats November wurden zudem drei in Russland sehr beliebte regionale Online-Foren geschlossen oder von politischen Inhalten gesäubert. Sie galten bis dahin als Foren, in denen offen über Politik gesprochen werden konnte. In der zentralrussischen Stadt Dolgoprudny beschlagnahmte die Polizei zum Beispiel am 15. November den Server des Forums "Kostroma Jedis". Die Maßnahme folgte auf eine Anzeige des Gouverneurs Igor Sljunjajew wegen "Beleidung eines Staatsvertreters". Auf dem Online-Portal waren zwei satirische Videos über den Regionalpolitiker gepostet worden.
In der östlichen Region Sachalin wurden Kioske unter Druck gesetzt, die Tageszeitung "Sowetski Sachalin", nicht mehr zu verkaufen. Das Blatt war das einzige lokale, unabhängige Medium, das die regionalen Behörden kritisierte.
Nach den vor wenigen Tagen angenommenen Gesetzesänderungen fallen "Diffamierung" und "Beleidigung" künftig nicht mehr unter das Strafrecht, sondern werden als zivilrechtliche Delikte geahndet. Zudem wurde das Strafmaß für tätliche Angriffe auf Journalisten hochgesetzt. ROG appelliert an die russischen Justizbehörden, die Gesetze nun auch vollständig anzuwenden und im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte auszulegen.
Quelle: Reporter ohne Grenzen e.V. (ots)