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Die Kriminalisierung der Kritik: Italiens größte Zeitung prangert angebliches "Putin-Netzwerk" an

Archivmeldung vom 18.06.2022

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 18.06.2022 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić
Italien, früher und heute (Symbolbild)
Italien, früher und heute (Symbolbild)

Lizenz: Public domain
Die Originaldatei ist hier zu finden.

Die Tageszeitung "Corriere della Sera" veröffentlichte am 5. Juni eine Liste von "Influencern und Meinungsmachern, die für Moskau Propaganda treiben". Ein Dokument des Geheimdienstes DIS gelte als Quelle. Das DIS dementierte dies und gab das Dokument frei. Daraus geht hervor, dass die italienische Regierung den Dienst im Kampf um die Deutungshoheit missbraucht. Dies berichtet Daniele Pozzati im Magazin "RT DE".

Weiter berichtet Pozzati auf RT DE: "Es gibt Stoff für die Geheimdienste", titelte am 15. Juni die Tageszeitung La Verità, "ein weiterer Putinist für die schwarze Liste: Sein Name ist Franziskus, und er arbeitet als Papst".

Diese sarkastische Schlagzeile führt zu einer wichtigen Enthüllung zum Ukraine-Konflikt – der Papst wird dann mit den Worten zitiert: "Ein Staatsoberhaupt hat mich Ende 2021 gewarnt, dass die NATO zum Konflikt beitragen werde." Und weiter: "Es gibt nicht die Guten und die Bösen. Das heißt aber nicht, dass man sich damit auf die Seite Moskaus stellt."

"Kommt jetzt auch der Papst auf die schwarze Liste?", fragt La Verità. Denn darum ging es in der von der Corriere della Sera veröffentlichten, schwarzen Liste über die "Putinisten Italiens", die auf einem Dokument des Geheimdiensts DIS basiert. Darin werden Journalisten, Blogger und Professoren genannt, die allesamt die russlandfeindliche Haltung der Draghi-Regierung im Ukraine-Konflikt öffentlich infrage stellen. Jetzt tobt seit zwei Wochen ein Skandal in Italien. In einem Leitartikel für Il Fatto Quotidiano fragte der in Italien sehr populäre Journalist Marco Travaglio:

"Welche andere liberale Demokratie nutzt Geheimdienste und die größte Tageszeitung des Landes, um Dissidenten an den Pranger zu stellen?"

Die "prorussische Galaxie"

Das Ganze begann am 5. Juni, mit einem reißerischen Aufmacher in der meistgelesenen Tageszeitung Italiens Corriere della Sera: "Putins Netzwerk in Italien: Das sind die Influencer und Meinungsmacher, die Propaganda für Moskau betreiben."

Im nachfolgenden Anreißer heißt es weiter: "Das vom Geheimdienst gesammelte Material identifiziert die für die für Propaganda genutzten Kanäle und rekonstruiert die Kontakte. So setzt dieser 'Apparat' Gegeninformationen in entscheidenden Momenten in Gang, indem er Pro-Kiew-Politiker angreift und diejenigen unterstützt, die auf der Seite der Russen stehen."

Dann werden Fotos von Menschen gezeigt, die in der Bildunterschrift als "Freelancer, Ökonomen, Politiker. Die prorussische Galaxie" bezeichnet werden.

Ein teils erfundener Artikel

Als daraufhin sofort ein Skandal ausbrach, dementierte der Geheimdienst DIS, die Quelle des Artikels zu sein, und gab das Dokument frei.

Doch das half ihm nicht mehr. Denn das Dokument enthüllt gleich zwei bedenkliche Tatsachen: zum einen, dass der Geheimdienst politisch motiviert agiert, und zum anderen, dass die Zeitung Teile des Artikels frei erfunden hat. Darüber berichtet sogar die NATO-freundliche Online-Zeitung Atlantico Quotidiano:

"Die von der Tageszeitung Corriere della Sera vorgelegte Liste der Putinisten Italiens ist fast ausschließlich das Werk ihrer Journalisten. Von den darin enthaltenen neun Namen stehen nur zwei im Dokument des Geheimdienstes DIS: Giorgio Bianchi und Alberto Fazolo [beide Journalisten und Aktivisten, die im Donbass leben oder gelebt haben]."

Die Corriere verwendete also das Dokument des Geheimdienstes, so Atlantico Quotidiano, "um ihrer eigenen Berichterstattung eine offizielle Quelle zu geben – eine Berichterstattung, die mangels anderer Quellen den Corriere-Journalisten zuzurechnen ist".

Unter den Namen, die die Corriere erfunden hat, ist der von Alessandro Orsini, Professor für Soziologie des Terrorismus in der Universität LUISS zu Rom.

Prof. Orsini ist seit Beginn des Ukraine-Konfliktes oft in italienischen Talkshows zu sehen. Er hat dem Publikum wiederholt erklärt, wie die NATO im Jahr 2021 mit ihren zwei Konfliktsimulationen (War Games) in der Ukraine zum Konflikt beigetragen hat. Wie andere in der Liste hat Prof. Orsini eine Klage gegen die Corriere angekündigt.

Auf dem Weg zur Operettendiktatur

In diesem Theaterstück kommt keiner gut weg: nicht die Tageszeitung Corriere, die sich für ein solches Schauspiel zum Handlanger macht; nicht der Geheimdienst, der andere Prioritäten haben sollte; noch die Regierung Draghi, die den Dienst für ihre politischen Ziele missbraucht.

Seine Methoden sind genau die eines autoritären Regimes. Das betonte Marco Travaglio noch einmal in der Talkshow Otto e Mezzo:

"Hier ist das 'Verbrechen', dem sich diese Leute schuldig machen würden: den Wunsch, die Entscheidungen der Regierung zu lenken oder – schlimmer noch – zu boykottieren, die Entscheidungen der Regierung als falsch zu beurteilen, und regierungsfreundlich sein", liest Travaglio aus dem Artikel.

Das freigegebene Dokument zeigt selbst, wie sich Italien unter der Ägide der NATO auf dem Weg zu einer Operettendiktatur befindet.

"Die Geschichte wiederholt sich immer zweimal", lautet ein berühmter Satz von Karl Marx, "das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce". Und eine Farce ist das Dokument ja wirklich. Ein paar Sätze genügen als Beispiel:

"Es gibt Telegram-Kanäle mit 10.000 bis 50.000 Teilnehmern, die die Arbeit des Ministerpräsidenten Draghi kritisieren." Diese Gruppen seien vergleichbar mit den Bewegungen der Ungeimpften und der Impfkritiker.

"In den sozialen Netzwerken werden Verschwörungstheorien verbreitet." Als Beispiel einer solchen Theorie wird die Vermutung angeführt, dass ein Stopp des russischen Öl- und Gasgeschäfts zu einer "schweren Benachteiligung des Industriesystems des Landes" führen würde. Na, welch eine Verschwörungstheorie aber auch!

Monatelang antirussische Propaganda – umsonst 

Eine mögliche Erklärung, warum sich die Draghi-Regierung derart autoritär benimmt, bietet die öffentliche Stimmung zum Ukraine-Konflikt. Wiederholte Umfragen zeigen: Weniger als 40 Prozent der Befragten befürworten Draghis Haltung gegenüber Moskau – und das trotz monatelanger, einseitiger, gleichgeschalteter und russlandfeindlicher Berichterstattung.

Die erste Umfrage zur "Zufriedenheit mit der Arbeit Europas" und zur "Zufriedenheit mit der Arbeit der NATO" wurde am 20. Mai beim Index Research für die Fernsehsendung Piazza Pulita veröffentlicht. Das Ergebnis: Die Mehrheit der Italiener (60,8 Prozent) ist sowohl gegen die Arbeit der NATO in der Ukraine als auch gegen die Sanktionspolitik der EU (59,5 Prozent).

Die jüngste Umfrage hat das Meinungsforschungsinstitut Ipsos am 15. Juni veröffentlicht: Mit 78 Prozent erklärt sich die überwiegende Mehrheit der Italiener besorgt über den Ukraine-Konflikt, mehr als die Hälfte (58 Prozent) macht sich Sorgen um die Wirtschaft und 33 Prozent sind für ein baldiges Ende des Krieges, selbst wenn die Ukraine die von Russland besetzten Gebiete verlieren könnte.

Eine Hexenjagd unter dem Vorwand von Fake News

Die Draghi-Regierung verliert also ihren Kampf um die Deutungshoheit, zumindest bezüglich des Ukraine-Konfliktes. Der Bericht des Geheimdienstes zeigt aber, wie weit sich der Kampf gegen Andersdenkende institutionalisiert hat.

Es gibt nämlich andere solcher "Hexenjagd-Berichte" in den Schubladen der Geheimdienste. Am 12. Juni schrieb Maurizio Belpietro, der Chefredakteur der Tageszeitung La Verità:

"Der Fall [...] ist noch lange nicht abgeschlossen. Da das freigegebene Material nur ein Teil der von den Diensten angeforderten seltsamen Aktivität ist, muss an dieser Stelle auch der ganze Rest veröffentlicht werden – um herauszufinden, ob jemand die Meinungen in die Verbrecherkartei aufnehmen möchte."

In einem Interview mit der Tageszeitung Il Fatto Quotidiano hatte schon am 9. Juni die italienische Schriftstellerin, Editorin und Essayistin Ginevra Bompiani den heutigen Zeitgeist zusammengefasst:

"Wer heute machtwidrige Dinge sagt, wird der Desinformation bezichtigt, aber Desinformation kann nur von den Machthabern betrieben werden. Dieses Einheitsdenken begann zu Beginn der Pandemie: Wer anderer Meinung ist, wird zum Schweigen gebracht, beschimpft, lächerlich gemacht."

Quelle: RT DE

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