Europäische Spitzenpolitiker warnen vor Vorverurteilung der Wahlen in der Ukraine
Archivmeldung vom 25.10.2012
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.10.2012 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEuropäische Spitzenpolitiker warnten im Zuge der Konferenz "Ukraine und Europa: Wahlen, Integration und wirtschaftliche Perspektiven" in Berlin davor, vorschnell über die am Sonntag in der Ukraine stattfindenden Parlamentswahlen zu urteilen und die Wahl "im Licht des Falls Tymoschenko" zu bewerten. "Wir dürfen nicht zulassen, dass der Fall Tymoschenko über die Zukunft unserer Beziehungen entscheidet," so Günter Verheugen, der als EU-Kommissar von 1999 bis 2004 für die EU-Erweiterung zuständig war.
Er merkte an, dass die Verurteilung der ehemaligen Ministerpräsidentin, die im vergangenen Jahr schuldig gesprochen wurde, Amtsmissbrauch begangen und im Jahr 2009 bei der Unterzeichnung eines umstrittenen Gasvertrags über 10 Milliarden USD mit Russland nicht die vorherige Zustimmung des Kabinetts eingeholt zu haben, in einigen EU-Ländern als "politisches Instrument" genutzt werde, um den europäischen Integrationsprozess hinauszuzögern.
"Auch wenn der Fall Tymoschenko in aller Munde ist, hat es echte juristische Reformen gegeben, darunter auch ein neues Strafgesetz," bemerkte der ehemalige polnische Präsident Aleksander Kwasniewski, der aktuell als stellvertretender Leiter an der Beobachtungsmission des Europäischen Parlaments in der Ukraine beteiligt ist.
Er wies darauf hin, dass es in der Ukraine einen pluralistischen Politikansatz, eine funktionierende Opposition und eine regelmässig wechselnde Führung gebe, da alle vier ehemaligen Präsidenten aus unterschiedlichen Parteien stammten.
"Die Ukraine braucht Europa und Europa braucht die Ukraine," sagte Kwasniewski im Rahmen der Konferenz, die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und dem Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft veranstaltet wurde.
Romano Prodi, der als Präsident der Europäischen Kommission von 1999 bis 2004 den Großteil der EU-Erweiterung koordinierte, wies auf die Notwendigkeit hin, "die Tür zu öffnen, Demokratie zu exportieren und den Handel zu fördern."
Er merkte an, dass aufgrund des geostrategischen Interesses der Europäischen Union an engeren Beziehungen zur Ukraine ein breiter gefasster Ansatz zum Aufbau von Beziehungen gewählt werden müsse.
"Die Tür muss offen sein," so Prodi. "Der Fall Tymoschenko darf der Zukunft des Landes und engeren Beziehungen zwischen Europa und der Ukraine nicht im Weg stehen. Geschichte kann man nicht ungeschehen machen - und eine faire und freie Wahl muss diesen Wandel einläuten."
Mevlut Cavusoglu, der ehemalige Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, betonte, dass man die Wahlen für sich genommen beurteilen müsse.
"Der Fall Tymoschenko überschattet praktisch alles andere, aber das darf nicht sein. Nur wegen Tymoschenko darf man das gesamte Land nicht aus Europa ausschließen," erklärte er.
Er merkte an, dass das am Sonntag angewendete neue Wahlgesetz mithilfe der Venedig-Kommission des Europarats und der OSCE ausgearbeitet und von über 80 % der Parlamentarier aus allen politischen Gruppierungen einschliesslich Julija Tymoschenkos Batkivshchyna-Partei unterstützt worden sei.
Der ukrainische Aussenminister Kostjantyn Hryschtschenko erklärte, dass Tausende nationale und internationale Wahlbeobachter einschließlich einer Delegation des Europäischen Parlaments die Abgabe und Auszählung der Stimmen mitverfolgen werden. Außerdem sei die breite Öffentlichkeit in der Lage, die Wahlen über Webcams mitzuverfolgen, die zuvor in allen 34.000 Wahllokalen installiert worden sind. Überdies betonte er, dass alle Parteien einen gleichberechtigten Zugang zur Presse haben.
"In Anbetracht der grossen Schwierigkeiten bei der Umsetzung zahlreicher Reformen muss uns wirklich viel daran liegen, Teil von Europa zu sein," erklärte Hryschtschenko und verwies auf die umfassenden Reformen, die derzeit in der Ukraine umgesetzt werden.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Johan Wadephul äußerte sich im Hinblick auf eine freie und faire Wahl zuversichtlich. Er bemerkte, dass das Wahlverfahren dem deutschen System sehr ähnlich sei, und bezeichnete die Wahlen als "Nagelprobe".
Der ehemalige österreichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer sagte, dass "wir im Falle einer freien und fairen Wahl sicherstellen müssen, dass das Assoziierungsabkommen unterzeichnet und auch erfolgreich verabschiedet wird."
"Europa hat augenblicklich mehr mit sich selbst als mit seinen Nachbarn zu tun," sagte Gusenbauer und fügte an: "Ich sage, die Ukraine sollte Teil der EU werden - auch wenn dies nicht über Nacht geschehen wird. Wir sollten die Ukraine keinesfalls aufgeben und Russland überlassen."
"In der Vergangenheit hieß es, die Ukraine müsse eine Entscheidung treffen, aber das stimmt nicht", bemerkte Verheugen abschließend. "Die Ukraine hat sich bereits entschieden. Wir (die EU - Anm. d. Red.) sind es, die eine Entscheidung treffen müssen. Wir sollten ganz klar sagen, dass wir eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine begrüßen, sobald sie alle erforderlichen Voraussetzungen erfüllt."
Quelle: Eye on Ukraine (ots)