Kissinger warnt vor Idealisierung des "arabischen Frühlings"
Archivmeldung vom 17.09.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger hat angesichts der neuen gewaltsamen Unruhen vor einer Idealisierung des arabischen Frühlings gewarnt. Der "Bild-Zeitung" sagte Kissinger: "Ich habe den arabischen Frühling nie so wahrgenommen, wie er in weiten Teilen der westlichen Welt und der Medien gesehen wurde."
In Ägypten hätten 75 Prozent der Wähler für Muslimbrüder und radikale Islamisten gestimmt, so der 89-jährige Friedensnobelpreisträger. "Das bedeutet nicht, dass man keine guten Beziehungen zu Ägypten haben kann - das war und ist im Interesse beider Staaten. Dennoch leben wir nicht unbedingt in der gleichen Wertegemeinschaft."
Kissinger wies weiter darauf hin, dass die Entwicklung in der arabischen Welt hin zur Demokratie "ein sehr langsamer Prozess" sei: "Es ist so gut wie unmöglich, dass aus politischen Parteien, die das Scharia-Recht verteidigen, demokratische Parteien werden", sagte er der "Bild-Zeitung". "Das ist das Dilemma, das wir im Moment haben, da dürfen wir uns nichts vormachen. Wenn man darauf besteht, dass Staat und Religion identisch sind, ist es fast unmöglich, dass sich andere Meinungen entfalten können."
Zu den neuen Protesten sagte Kissinger: "Es ist doch eine absurde Situation, dass ein kleines Video, das in Amerika niemand kannte, von dem die US-Regierung nichts wusste, zu solchen Gewaltausbrüchen führt."
Kissinger, der am Samstag das Bundesliga-Spiel der SpVgg Greuther Fürth gegen Schalke besuchte, nutzte seinen Deutschland-Besuch auch für ein einstündiges Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel. Über sie sagte er der "Bild-Zeitung": "Sie ist eine alte Freundin. Ich kenne sie seit vielen Jahren und bewundere sie."
Ferner sprach sich Kissinger für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses aus. "1946, als junger Mann, habe ich erstmals Berlin besucht. Damals war das Schloss ein Trümmerhaufen. Später habe ich auf Bildern gesehen, wie es im 19. Jahrhundert aussah. Als ich dann im Jahr 1993 einmal zu Besuch war, war gerade die Schloss-Attrappe installiert worden. Das hat mich sehr bewegt und mein Bewusstsein dafür geschärft, was für ein wichtiges Symbol das Schloss ist", so Kissinger.
Quelle: dts Nachrichtenagentur