Bartoszewski: "Europäisches Bewusstsein braucht Zeit"
Archivmeldung vom 30.06.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Entwicklung eines gemeinsamen Bewusstseins zwischen Ost- und Westeuropäern in der EU braucht nach Ansicht des früheren polnischen Außenministers Wladyslaw Bartoszewski noch Zeit.
Dies zeige das Beispiel der Iren, die gegen
den neuen EU-Vertrag gestimmt hätten, "obwohl sie zu den größten
Nutznießern der EU gehören". Er könne auch polnische Euroskeptiker
verstehen, "wenn es etwa um die Frage der Souveränität Polens geht",
sagte der 86jährige Politiker, der seit November für den Dialog der
polnischen Regierung mit Deutschland zuständig ist, in einem
Interview mit der "Märkischen Oderzeitung".
Seit Anfang des 18.
Jahrhunderts seien mit Ausnahme der Jahre von 1921 bis 1939 und seit
1993 fast immer fremde Armeen auf polnischem Gebiet gewesen. "Dennoch
sind unter den jungen Polen rund 80 Prozent von der Europäischen
Union überzeugt", so Bartoszewski weiter.
Die deutsch-polnischen Beziehungen entwickelten sich seit dem
Regierungswechsel in Warschau positiv. Die zwei Jahre der
Kaczynski-Regierung, in der antideutsche Vorurteile geschürt worden
seien, hätten "für uns denkende Polen eine sehr lehrreiche Wirkung
gehabt". Man habe bemerkt, "wie groß noch das Potenzial der stillen
Dummheit" sei. Allerdings sei die Stimmung in den Grenzgebieten
Polens zu Deutschland deutlich positiver, als in Regionen ohne
intensiveren Kontakt zu Deutschland. Die Bevölkerung in diesen
Westgebieten bestehe zu großen Teilen aus Flüchtlingen und
Zwangsumsiedlern aus dem Osten sowie deren Nachfahren. "Das sind
Menschen, die in ihrer Familientradition ein Stalin-Trauma haben,
nicht ein Hitler-Trauma", so Bartoszewski.
Quelle: Märkische Oderzeitung