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Steinmeier in Kolumbien: Außenminister muss Versäumnisse im Friedensprozess ansprechen

Archivmeldung vom 13.01.2017

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 13.01.2017 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt
Logo - Reporter ohne Grenzen e.V.
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Anlässlich des Besuches von Frank-Walter Steinmeier in Kolumbien fordert Reporter ohne Grenzen (ROG) den Außenminister auf, die Versäumnisse im Friedensprozess ansprechen. Die im Friedensabkommen vereinbarten Regelungen zum Schutz der Pressefreiheit müssen sofort umgesetzt und auf weitere illegale Gruppen ausgeweitet werden. Seit Inkrafttreten des Abkommens hatten zuletzt Drohungen und Schikane gegen Journalisten insbesondere von Seiten paramilitärischer Gruppen zugenommen. Diese Gruppen sind nicht am Friedensprozess beteiligt.

"Während die Weltöffentlichkeit sich vor allem auf den Friedensprozess mit den FARC konzentriert, werden Journalisten insbesondere von paramilitärischen Gruppen vermehrt bedroht", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Drohungen gegen Journalisten müssen ernstgenommen werden, um die anhaltende Selbstzensur zu bekämpfen. Wir fordern die kolumbianische Regierung auf, den Friedensprozess auf die übrigen illegalen Gruppierungen auszuweiten, um einen umfassenden Schutz für Journalisten zu gewährleisten."

In den vergangenen Monaten verübten paramilitärische Gruppierungen vermehrt Anschläge auf Menschenrechtsaktivisten (http://t1p.de/4ti8). Riskant ist dieser Anstieg auch für Journalisten: Der Kolumbianische Journalistenverband und ROG-Partnerorganisation FECOLPER (Federación Colombiana de periodistas) beobachtet vermehrte Drohungen gegen Journalisten, die zu Angriffen auf Aktivisten berichten und diese interviewen. So musste ein Journalist kürzlich die Region Catatumbo verlassen und untertauchen: Er hatte über die Ermordung mehrerer Führer von Bauernorganisationen berichtet und wurde anschließend massiv bedroht und verfolgt.

VERMEHRT DROHUNGEN GEGEN JOURNALISTEN

Neben der Berichterstattung über Anschläge existieren noch weitere Themen, die riskant für Journalisten sind. So sah sich das unabhängige Nachrichtenportal Onda Opita gezwungen, seine Webseite nach Morddrohungen zu schließen. Die Seite hatte in einem Artikel beschrieben, dass der Bürgermeister der Stadt Neiva Stadträte bestochen haben soll. Daraufhin rief dieser auf seiner privaten Facebookseite zu Übergriffen auf das Portal auf (http://t1p.de/t9sy). Auch die Journalistin Lucy Flórez erhielt Todesdrohungen, nachdem sie über eine kranke Abgeordnete berichtet hatte (http://t1p.de/coij).

Zudem entschied der Oberste Gerichtshof von Bogotá im Dezember in dritter Instanz, die Anschuldigungen wegen illegaler Überwachung von Journalisten gegen den Ex-Geheimdienstmitarbeiter José Miguel Narváez fallenzulassen. Damit hebt der Gerichtshof das Urteil gegen Narváez auf, der in erster und zweiter Instanz zu acht Jahren Haft verurteilt worden war. Eine Begründung lieferten die Richter bislang nicht (http://t1p.de/xx5g).

SELBSTZENSUR GRÖSSTE GEFAHR FÜR DIE PRESSEFREIHEIT

Journalisten sind auch weiterhin willkürlicher Schikane von Staatsvertretern ausgesetzt. So hielt etwa die Militärpolizei Pressevertreter im Vorfeld einer Pressekonferenz auf der Insel San Andrés nachts an einem Flughafen grundlos fest (http://t1p.de/huum). Sie durchsuchten mehrere Journalisten stundenlang und verweigerten ihnen den Besuch der Toilette sowie den Zugang zu Nahrungsmitteln und Getränken. Die Schikanen gingen soweit, dass die Pressevertreter schließlich gemeinsam entschieden, die Reise abzusagen.

Aber das größte Problem ist nach wie vor die weit verbreitete Selbstzensur. So wurde nun zwar ein Abkommen mit den FARC-Rebellen geschlossen - die zweitgrößte Guerilla ELN agiert jedoch weiter insbesondere in den ländlichen Regionen. ELN-Kämpfer hatten so unter anderem im Mai drei Journalisten entführt (http://t1p.de/7e5z). Die Friedensgespräche zwischen der ELN und der kolumbianischen Regierung waren zuletzt von blutigen Anschlägen der Rebellen überschattet und zeitweise ausgesetzt worden (http://t1p.de/4txv).

Die größte Gefahr geht weiterhin von paramilitärischen Verbänden aus. Nun, da mit der Demobilisierung der FARC in den ländlichen Regionen gewissermaßen ein Gegengewicht entfällt, befürchtet FECOLPER einen weiteren Anstieg der Drohungen gegen Journalisten. Um der Selbstzensur entgegen zu treten, gründeten Journalisten und Vertreter der Zivilbevölkerung Ende 2016 die "Liga gegen das Schweigen" (http://t1p.de/wwbp).

Ein weiteres Problem sieht FECOLPER in dem fehlenden Vertrauen in den Staat. Aufgrund der verbreiteten Straflosigkeit würden Journalisten Drohungen gegen sie oft nicht öffentlich machen. Aktuell jährt sich etwa der Mord an Guillermo Cano, Chefredakteur der Tageszeitung El Espectador, welcher seit 30 Jahren straflos ist (http://t1p.de/yp0h). Auch die Angeklagten im Mordfall der Journalistin Flor Alba Nuñez, die 2015 in der südlichen Stadt Pitalito erschossen wurde, werden laut FECOLPER demnächst vermutlich aus Mangel an Beweisen aus der Haft entlassen.

Selbst das staatliche Schutzprogramm für bedrohte Journalisten bietet keine Garantie für Pressefreiheit. So standen die Personenschützer zuletzt im Verdacht, die von ihnen begleiteten Journalisten zu überwachen und bedrohen (http://t1p.de/m4m5). Das nationale Komitee der Journalisten, die Opfer des Konfliktes wurden, forderte die Regierung im Dezember 2016 mit einem Ultimatum auf, den Schutz und die Entschädigung von betroffenen Journalisten zu garantieren (http://t1p.de/wsvj).

UMSETZUNG DES FRIEDENSPROZESSES ZULETZT VERZÖGERT

Anfang Oktober war die erste Version des Friedensabkommens in einem Referendum mit knapper Mehrheit von 50,21Prozent abgelehnt worden (http://t1p.de/hf1q). Eine überarbeitete Version, die auch die Kritik der oppositionellen Gruppen berücksichtigte, wurde am 30. November vom Parlament verabschiedet (http://t1p.de/vwd2). Am 13. Dezember beschloss das Verfassungsgericht daraufhin Sondervollmachten, die die Umsetzung des Friedensvertrages - ohne weiteres Referendum - in sechs Monaten statt regulär zwei Jahren ermöglichen (http://t1p.de/jnxt). Damit begann die offizielle Umsetzung des neuen Abkommens. Analog zu den Plänen der Regierung sollten FARC-Kämpfer bereits Mitte Dezember in 20 Demobilisierungszonen umziehen. In diesen isolierten Camps sollen die Rebellen über einen Zeitraum von sechs Monaten entwaffnet und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorbereitet werden. Allerdings verzögerte sich die Umsetzung der Pläne, wodurch die Zonen wohl erst im Februar bereit sein werden (http://t1p.de/brgi).

Das Referendum war unter anderem an falschen Befürchtungen gescheitert, die das oppositionelle Lager unter Ex-Präsident Alvaro Uribe verbreitet hatte (http://t1p.de/fybm). In den folgenden Wochen nahmen Übergriffe und Drohungen gegen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten konstant zu. Organisationen wie die NGO Somos Defensores sehen einen direkten Zusammenhang zwischen der Ablehnung des Abkommens und dieser Häufung: Wer sich im Vorfeld des Referendums für die Ergebnisse des Friedensprozesses aussprach, wurde von oppositionellen Gruppen als "Fürsprecher" der FARC betrachtet. Das Wahlergebnis stärkte somit Kritikern der FARC den Rücken (http://t1p.de/atcv).

MEDIENKONZENTRATION BEHINDERT PRESSEFREIHEIT

Ein weiteres Hindernis für die Pressefreiheit in Kolumbien ist die starke Besitzkonzentration der Medien, die Interessenkonflikte und Selbstzensur begünstigt und die Meinungsvielfalt behindert: Drei Konzerne kontrollieren durch eine Vielzahl von Publikationen und Sendern 57 Prozent des Markts für Printmedien, Fernsehen und Radio (http://t1p.de/vgss). Unter den überregionalen Medien entfallen zwei Drittel der Leser auf nur vier Zeitungen. Die beiden größten Fernsehsender machen mehr als zwei Drittel des TV-Markts unter sich aus und erwirtschaften rund 78 Prozent der gesamten TV-Werbeeinnahmen. Dies zeigen die Ergebnisse des Projekts Media Ownership Monitor, die ROG und FECOLPER im Herbst 2015 vorstellten (http://t1p.de/n7vu).

Kolumbien ist für Journalisten nach Mexiko weiterhin das gefährlichste Land des amerikanischen Kontinents. Allein seit dem Jahr 2000 wurden rund 60 Journalisten ermordet (http://t1p.de/b6zq). Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Kolumbien auf Platz 134 von 180 Staaten (http://t1p.de/ro6x). Weitere Informationen zur Lage der Pressefreiheit in Kolumbien finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/kolumbien

Quelle: Reporter ohne Grenzen e.V. (ots)

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