EU-Expertin Börzel: Großbritanniens Sonderstatus ist Geschichte
Archivmeldung vom 27.06.2016
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNoch ist unklar, wann genau die Verhandlungen zum Austritt Großbritanniens aus der EU beginnen und wie lange sie andauern werden. Für die EU-Expertin Tanja Börzel steht aber mit der Entscheidung für den Brexit im Referendum von Freitag fest: "Mit dem Sonderstatus ist es vorbei. Großbritannien wird jetzt behandelt werden wie alle anderen auch."
Im Interview mit der in Berlin erscheinenden Tageszeitung "neues deutschland" zeigt sich die Leiterin der Arbeitsstelle für Europäische Integration an der Freien Universität Berlin überzeugt, dass die EU-Mitgliedsländer bei zentralen Bestandteilen des Binnenmarktes wie der Personenfreizügigkeit keine Ausnahmen zulassen werden, allein schon um möglichen Nachahmungseffekten entgegenzuwirken. "Es ist schwer vorstellbar, einen Mittelweg zu finden, der es Großbritannien ermöglicht, auf der einen Seite im Binnenmarkt zu bleiben, auf der anderen Seite aber all die Punkte zu vermeiden, die von den Gegnern eines Verbleibs in der EU angeführt wurden. Das ist rechtlich nicht möglich und politisch extrem unwahrscheinlich", so Börzel.
Die langjährige Begleiterin der Entwickung der EU hofft, dass das Brexit-Referendum dazu führt, dass die Mitgliedsstaaten in den aktuell drängenden Fragen zu gemeinsamen Antworten kommen. "Wie sie das tun - ob sie also immer mehr Zuständigkeiten an zum Teil nicht demokratisch legitimierte Instanzen abgeben - das ist eine andere Frage", sagt Börzel. Das Problem liege nicht bei den Institutionen, sondern bei den Mitgliedsstaaten. "Sie haben sich zuletzt aus ihrer politischen Verantwortung gestohlen."
Politikwissenschaftler Colin Crouch nennt Brexit einen Aufstand von Reaktionären mit Zukunftsrhetorik
Der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch hat den Brexit-Volksentscheid in Großbritannien als Aufstand von Reaktionären kritisiert. "Der Brexit war ein Aufstand von Menschen, die der Vergangenheit nachhängen und die zugleich eine Zukunftsrhetorik benutzten", sagte Crouch dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Montag-Ausgabe). Die Briten werde der Austritt aus der EU viel stärker treffen als die Menschen in den verbleibenden Mitgliedstaaten. Die Vorstellungen zum Brexit seien Fantasiegebilde gewesen, so Crouch, und "in der wirklichen Welt enden Fantasien in Tränen". Von der EU forderte Crouch eine Selbstbesinnung auf ihr künftiges Miteinander. "Die EU muss erkennen, dass eine nur von Rechts- und Wirtschaftslehre getragene Tagesordnung nicht ausreicht, der Unzufriedenheit und Unsicherheit der Menschen zu begegnen." Der Kern der EU um Frankreich und Deutschland stehe noch, er müsse aber auch andere wie "Italien, die Niederländer, Spanien, vielleicht Polen einbinden, um zu zeigen, dass Europa für eine Offenheit gegenüber verschiedenen Einflüssen steht".
Quelle: neues deutschland - Kölner Stadt-Anzeiger (ots)